Woher kommt mir Hilfe?
Wie wird es wohl werden? Schwermütig oder vielleicht sehr traurig? Wie viel Mut kostet es, sich an ein solches Thema zu wagen? Mit diesen Gedanken wird so mancher Besucher des Musikalischen Dramas „Woher kommt mir Hilfe? Der Tod als Teil des Lebens.“ am vergangenen Samstag in die Martinskirche in Beerfelden gekommen sein.
Iris Thierolf, Kirchenmusikerin, Musiklehrerin und Komponistin aus Etzean (Oberzent) entwickelte die Idee zu diesem Werk schon vor fünf Jahren. Die Pandemie stoppte jedoch die Vollendung dieses Stückes, obwohl das Thema Tod genau in dieser Zeit sehr präsent wurde. Auch Thierolf ging mit gemischten Gefühlen an die Aufführung, weil es ein äußerst heikles und leider ein Tabu- Thema ist. Allerdings, so wurde es im Laufe der Aufführung immer klarer, löste sie diese Befürchtungen mit viel Respekt, Einfühlungsvermögen, Glauben und Mut brillant auf.
Harmonisch unterstützt wurde sie vom Kinderchor, den jugendlichen und den erwachsenen Flying Vocals, den Swinging Ladies, dem Projektchor (basierend auf dem Kirchenchor) und, wie schon seit vielen Jahren, der Kurpfalzphilharmonie unter der Leitung von Arne Müller und den Hauptfiguren Tenor David Krahl und Bariton Carl Philip Weber. Die meisten Texte in diesem Musikdrama stammen von Thierolf selbst.
In diesem Werk geht es in erster Linie um den Tod und Freundschaft, die fast daran zerbricht. Der Kinderchor, begleitet von den Swinging Ladies verkörperte die Unbekümmertheit von Kindern in Form einer Schulklasse nach den Ferien, die sich freuen einander wiederzusehen. Viele Wünsche, wie „immer Ferien“, „keine Hausaufgaben“ oder „langes Leben für Mama und Papa“ werden musikalisch in „Die Ferien sind vorbei“ geäußert, aber auch „dass wir immer Freunde bleiben“. Die Flying Vocals freuen sich in „Heute gibt’s schöne Neuigkeiten“ mit ihrem Klassenkameraden Leo über seine gerade geborene kleine Schwester Sophie. Wie sich eine „Coole Party“ entwickelt, kann da noch niemand ahnen. Voller Vorfreude bereitet der
Freund seine Geburtstagsparty vor. Die kommen mit Geschenken für die Wochen später geplante gemeinsame Hüttenwandertour, einem Rucksack, Wanderführer und Hüttenübernachtung. Doch schon beim nächsten Treffen der beiden Protagonisten „Ich muss dir etwas sagen“ wird klar, dass etwas schiefläuft. Fröhlich beginnt der Freund zu erzählen, bis er feststellt, dass seine Worte nicht ankommen. Auf Nachfrage erfährt er, dass der Freund eine unheilbare Krankheit hat, an der er sehr bald sterben wird. Trotz großer Bestürzung und Verzweiflung versichert er ihm, dass er ihm beisteht und ihn nicht alleine lässt. Auf der Suche nach dem „Warum gerade ich?“ sucht der Betroffene nach Antworten und überlegt, ob es in seiner Kindheit schon Anzeichen für dieses Schicksal gab. Aber nein, er war ein ganz normales Kind.
„Lebensstationen“ zeigen im Zeitraffer sein Leben von der Taufe über die erste Liebe, den Verlust der Großeltern, den Beruf und die eigene Familie. Dann bereitet die Philharmonie, gefühlvoll umgesetzt, musikalisch auf den „Abschied“ vor.
Der irische Reisesegen „Wir lassen dich los“ eröffnet das traurigste Kapitel dieses Musikdramas, die Beerdigung. Zwischen Liebe und Dankbarkeit, Fassungslosigkeit, Trauer, Wut und dem Glauben an die Auferstehung wird der Besucher mit hineingerissen in den Strudel der Gefühle.
Nach einem „Requiem-Walzer“ und dem Musikstück „Und meine Seele spannte weit ihre Flügel aus“ nach einem Text von Joseph von Eichendorff ging es in eine halbstündige Pause.
Nach der Pause eröffnete der Projektchor mit „Abendempfindung“ von Joachim Heinrich Campe den zweiten Teil des Musikdramas. Sensibel setzte Thierolf die Phasen der Trauer und als Gegensatz „die Erde dreht sich weiter“ in Szene. „Menschen hasten durch die Gassen“. Keiner hat Zeit, jeder hat Termine, trifft sich, freut sich, lästert, lebt seinen Alltag und rennt seinen Zielen entgegen. Der trauernde Freund fühlt sich verlassen und ausgeschlossen. Er betrinkt sich und stößt jede gutgemeinte Hilfe von sich in
der Meinung, dass niemand den Schmerz so spürt wie er selbst…
Jedoch, der Verstorbene selbst versucht in „Trauer“ den Schmerz seines Freundes und der gebrochenen Eltern zu lindern. „Ich bin tot! Aber ich könnte in euch weiterleben. Wenn ihr mich in euren Herzen bewahrt, werde ich immer bei euch sein. Vergesst mich einfach nicht!“ Aber die Trauernden sind noch nicht wirklich bereit.
Der Heilungsprozess beginnt erst mit dem „Netz aus Erinnerungen“. Plötzlich mischen sich in all den Schmerz schöne Erinnerungen an den Verstorbenen als Baby, Schulkameraden, in der Clique, Arbeitskollegen und als Bruder. Denn dass auch Kinder trauern, wie hier zum Beispiel die kleine Schwester um ihren Bruder, wird oft nicht bemerkt. Und für jede Erinnerung wird ein buntes Band in das Netz genknüpft.
In einem berührenden Duett „Woher wird mir Hilfe kommen?“ aus dem Psalm 121, erscheint der Verstorbene dem Freund um ihn aufzumuntern und ihm zu versichern, dass er ihn nie verlassen wird, solange dieser ihn in seinem Herzen lebendig hält. Hier erkennt der verzweifelte Freund, dass die Hilfe letztlich auch von Gott kommt, der mitgeht, mit aushält und auch Kraft, Hoffnung und Zuversicht zum Weiterleben schenkt, was nicht heißt, dass es den Schmerz nicht geben darf. Deshalb sind auch Freunde wichtig. Sie sind das Beste auf der Welt und helfen dir, wenn dich was quält. Sie verstehen deine Gedanken und urteilen nicht.
In einem weiteren Zwiegespräch mit dem Verstorbenen „Steh nicht mehr hier mit verweintem Gesicht“ erfährt der Freund, dass er wieder ins Leben zurückkehren und auch Freude und Glück erleben darf. Noch vorsichtig lässt er sich in „Endlich befreit“ darauf ein und lässt den Verstorbenen auch wieder an seinem Leben teilhaben.
Den Abschluss bildet eine Hommage an das Leben „Leben ist hier und jetzt“. Hier heißt es: „Leben ist wunderbar, lässt lachen und verrückte Sachen machen. Aber auch Tod kann erlösen, Tod kann befreien, Tod kann schrecklich und grausam sein. Tod gehört zum Leben nun mal dazu, doch bei vielen ist das Thema tabu.“
Genau das hat Iris Thierolf zusammen mit den stimmlich extrem beeindruckenden Chören und Solisten sowie Solistinnen aufgegriffen und mit einer bewundernswerten Sensibilität umgesetzt. Vor allem die beiden Hauptfiguren Krahl und Weber spielten und sangen ihre Rollen herzzerreißend und glaubhaft. Die Philharmoniker begleiteten die Lieder mit der gewohnten Professionalität und reagierten sensibel und mit einer fein abgestimmten Performance auf das Dirigat von Thierolf.
Veröffentlicht mit der freundlichen Genehmigung von Waltraud Dollinger.