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Von letzten Dingen

Von letzten Dingen möge ich etwas schreiben. So lautete die Bitte.

Ja gerne – das ist doch mein Thema in der Hospizarbeit. Und sofort fielen mir Dinge dazu ein:

Da gibt es die Liste der Dinge die Menschen am Ende ihres Lebens am meisten bedauern…

Es gibt kluge letzte Worte berühmter Persönlichkeiten…

Es gibt Ideen, wie gutes Sterben geht…

Es gibt Wunscherfüllungsmobile für Sterbende…

Es gibt besondere Fragen: Was muss ich einpacken in meinen Koffer für die letzte große Reise?

Lauter Worte, Überlegungen und Dinge, die klug daherkommen und mehr oder weniger deutlich das Versprechen machen: „Frag mich, ich weiß, wie es geht.“

Ich traue diesen Versprechungen nicht so recht.

 

Mir wurde auf meinem Weg eine große Ehre zuteil. Ich durfte an manchem Bett eines sterbenden Menschen sitzen.

Manches Mal war dabei auch die Rede von den sogenannten letzten Dingen. Ich durfte dabei manches von diesen Menschen und ihren Familien lernen.

Gelernt habe ich vor allem dies: Jedes Leben ist einzigartig. Und so ist auch jedes Sterben einzigartig. Es gibt keine allgemeingültige Regel. So einfach ist es leider nicht.

Manchmal hätte ich mir gewünscht, es wäre einfach. Da hätte ich gerne das eine richtige Wort zu sagen gewusst. Ich habe nach Worten gesucht, um Worte gerungen. Aber immer bleibt eine Unsicherheit.

Ich kann also nicht sagen, was Sie bedenken müssen, wenn es für Sie um die Letzten Dinge geht. Was ich sagen kann, das ist, was mich bewegt und wie ich versuche damit umzugehen. Dabei hilft mir, was ich habe sehen dürfen.

 

Was ich gesehen habe: Bei aller Einzigartigkeit von jedem Sterben: eine Beobachtung habe ich immer wieder machen dürfen: Es war Menschen hilfreich, wenn sie zur Ruhe kommen durften. Damit ist nicht Stille oder ein bedächtiges Schweigen gemeint. Auch Sterbende freuen sich noch an Schönem. Auch Sterbende können noch lachen. Mitarbeitende in den unterschiedlichsten Pflegeeinrichtungen können davon erzählen.

Ich vermute: zur Ruhe kommen bedeutet die Erkenntnis: Ich habe meine Aufgabe erledigt. Ich darf mein Werkzeug aus der Hand legen. Ich habe getan, was mir mit meinen Gaben, mit meinem Wissen und meinem Wesen möglich war. Und damit darf ich mich nun zufriedengeben. Ich habe gesehen, damit diese Erkenntnis aufleuchten konnte, war es oft hilfreich, wenn An- und Zugehörige ihre Wertschätzung ausdrücken konnten: „du hast mich getröstet, als…“, - „du hast mich ermutigt…“  – „Du hast mich gelehrt, Bücher zu lieben…“.

Wenn es einmal um mein Sterben gehen wird, dann wünsche ich mir, dass ich mit dem, was mein Leben war, Frieden schließen kann. Ich möchte nicht Dingen nachtrauern, die ich nicht hatte. Ich möchte aber dankbar auf das schauen dürfen, was ich haben durfte. Ich will nicht, dass das Klagen über das, was nicht war, dem Schönen, das ich haben durfte, seinen Glanz nimmt.

Eine andere Entdeckung möchte ich noch mit Ihnen teilen: Ich weiß ja, was damit gemeint ist, wenn wir von den letzten Dingen reden. Und doch glaube ich: es gibt keine wirklich letzten Dinge. Unsere Elterngeneration hat uns einen Boden bereitet und uns ein Feld bestellt, auf dem wir mit unseren Möglichkeiten Dinge weiterentwickelt haben. Und unser aller Kinder und Enkel werden das mit dem tun, was wir ihnen hinterlassen. Dinge sind immer vorläufig und bleiben immer im Wandel.

Das gilt, so glaube ich, auch für meinen eigenen Weg. Ich glaube – und weiß mich darin mit Christen einig – Sterben ist ein Durchgang, ein Übergang. Sterben ist wie das Öffnen einer Tür. Diese Tür führt in einen noch vollkommen unbekannten Raum. Ich vertraue darauf, dass dieser Raum gut sein wird. Einladend wird er sein. Gott, der Hausherr, wird uns freundlich aufnehmen und uns Heimat geben.

Und dann wird auch deutlich:

Das, was hier ist, das, was wir hier kennen und was uns hier vertraut ist, das ist kostbar und wertvoll.

Aber eben auch: Es ist vorläufig.

Es gibt keine letzten Dinge, sagt mir mein Glaube.

Und so wünsche ich mir, dass ich eines Tages, und möge es noch lange bis dahin dauern, bei allem Abschiedsschmerz auch ein wenig neugierig in den noch unbekannten Raum eintreten darf.

 

Reinhold Hoffmann


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