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Schlacht unterm Regenbogen

Anlässlich des Lutherjahres 2017, in dem wir 500 Jahre Reformation feiern, wird an dieser Stelle jeweils ein namhafter Reformator vorgestellt. Den Anfang macht Ute Löb, die den Reformator Thomas Müntzer (1489 - 1525) vorstellt.

Thomas Müntzer

Vor 500 Jahren löste Luther mit dem Anschlag der 95 Thesen an der Tür der Schlosskirche zu Wittenberg eine öffentliche Rebellion gegen die römische Kirche aus, den Beginn der Reformation. Nicht nur Luther versuchte die lukrative Bauernfängerei des Ablasshandels, mit ein Anlass des Streites, der zur Reformation führte, zu korrigieren. Es gab auch andere, die die unhaltbaren Zustände infrage stellten, so auch Thomas Müntzer. Es lohnt sich, einmal in die Zeit hinein zu hören mit einer Lebensbeschreibung dieses Mannes.

Thomas Müntzer, am Ende seines Lebens eher Rebell als Reformator, geboren um 1489 in Stolberg im Harz, am 27. Mai 1525 mit dem Schwert öffentlich hingerichtet. Ein kurzes, intensiv im Glauben gelebtes Leben, mit riskanten theologischen Auslegungen und Taten, in einer in Veränderung befindlichen Zeit.

Dank Luthers Übersetzung der Bibel in die deutsche Sprache war nun jeder der lesen konnte in der Lage, sich kritisch mit den Texten auseinander zu setzen. Die Mittel der allgegenwärtigen Kirche zur Erlösung zum ewigen Leben in Form von Ablasszahlungen wurden nicht mehr von allen unbedacht und unkritisch akzeptziert. Die Menschen, insbesondere die leibeigenen Bauern, fingen an, sich gegen die viel zu hohen Abgaben an Kirche und Staat zur Wehr zu setzen.

Thomas Müntzer setzt aufgrund seiner Bibelauslegung ganz andere Schwerpunkte. Er forderte bessere Bedingungen für die überwiegend geknechteten und in elenden Verhältnissen lebenden Menschen. Seiner Auffassung nach waren alle wahrhaft Gläubigen Gottes Kinder, keiner stand über dem anderen. Damit waren auch die Herrschenden und die Kirche gemeint. Ein kühner Gedanke. Wegen dieses sozialen Engagements war Müntzer in der ehemaligen DDR eine bekannte Größe, trotz der von staatlicher Seite eher bedeutungslosen Rolle der Religion. Er wirkte überwiegend in Thüringen im Harz, nahe den Grenzen von Hessen und Niedersachsen.

Das genaue Geburtsdatum von Thomas Müntzer ist nicht bekannt, auch nicht, ob die Familie zu den Wohlhabenden seines Geburtsstädtchen Stolberg im Harz zählten. Er studierte an der Universität Leipzig und an der Universität in Frankfurt an der Oder. Ein Universitätsabschluss ist nicht verbürgt. In vorhandenen Briefen wird er jedoch immer als Magister angeredet und steht schon früh im Ruf eines überaus gelehrten Mannes.

Eine Urkunde bezeugt Müntzers Tätigkeit zwischen 1514 und 1517 in der damals bedeutenden Hansestadt Braunschweig, an der Kirche St. Michaelis . Müntzer wurde durch den kommunalen Rat der Stadt eingesetzt und nicht von einer geistlichen Institution. Auf einigen Blättern in Müntzers Nachlass aus dieser Zeit fand man bereits den ersten Hinweis darauf, dass er einen besonderen Wert auf eine Frömmigkeit legte, die aus dem Martyrium der Nachfolge Christi bestand. Er lebte in der Vorstellung vom nahe bevorstehenden apokalyptischen Ende der Zeiten und schien sich in Kreisen bewegt zu haben, die kirchenkritisch eingestellt waren und eine Erneuerung der Christenheit aus dem Geist mystischer Innerlichkeit anstrebten.

Müntzer traf 1518 Luther in Wittenberg. Das Gespräch ist allerdings nicht überliefert. Dies muss kurz nach dem Verhör Luthers wegen Ketzerei in Augsburg durch Kardinal Cajetan gewesen sein. Rom verlangte von Luther Gehorsam. Nur der Papst hatte das Recht zur Auslegung der Heiligen Schrift. In Wittenberg war man über die Ausweitung des Streits mit Rom in Sorge und namhafte studierte Männer um Luther berieten über Reformen und bemühten sich, den Bogen nicht zu überspannen. Sie versuchten, die reformatorische Bewegung langsam wachsen zu lassen.

Müntzer ist in dieser Zeit viel unterwegs. Bereits 1519 predigte er im Städtchen Jüterburg gegen die Herrschaft des Papstes. Ein Jahr später nimmt er eine Vertretung in Zwickau an. Zwickau ist eine aufstrebende Stadt, reich geworden u.a. durch Bergbau, Weberei und Handel. Während die Reichen ihren Besitz vermehren konnten, lebten die Armen in immer größerer Not. Diese soziale Ungleichheit sieht Müntzer als großes Unrecht. Schon bei seiner ersten Predigt nimmt er kein Blatt vor den Mund. Einem Chronisten nach soll er gesagt haben „… die Munche (Mönche) hetten meuler, das man wol 1 Pfd. Fleisch abschneiden konnte, vnd behülten dennoch mauls genug“. Worauf die Mönche durch die Gassen zogen und versuchten, die Bürger gegen den neuen Prediger aufzubringen. Es kam zu harten Auseinandersetzungen.

Müntzer verteidigt fast schon radikal seine Position. Während er die Erfahrung des Glaubens predigt, in der Gott mystisch direkt und ohne Vermittlung von Heiligen und der Schrift wirkt, wirft er seinem Vorgänger einen nur vernunftgeleiteten Umgang mit der Heiligen Schrift vor. Obwohl sich beide für die Reformation engagieren gibt es in dieser Hinsicht keinen Weg zueinander. Daraufhin fordert der Rat der Stadt Müntzer auf, sich mit Luther abzustimmen. Die Antwort aus Wittenberg enthielt die Bitte, sich zurückzuhalten, in der Absicht, die aufkeimende reformatorische Bewegung in Zwickau unter keinen Umständen in Mitleidenschaft zu ziehen.

Der Glaubensstreit verselbständigte sich. Die weiterhin der römischen Kirche zugewandten Menschen erhoben ebenfalls den Anspruch, den einzig richtigen gottgefälligen Glauben zu haben. Ein Beispiel ist die Geschichte des altgläubigen Pfarrers Nikolaus Hofer, der sich interessiert unter die Gottesdienstgemeinde Müntzers gemischt hatte. Er wurde erkannt, nach dem Gottesdienst mit Kot und Dreck beworfen und über die Hintergärten aus der Stadt vertrieben. Etwa zwei Jahre später wurde er von einem Anhänger Müntzers erstochen.

Aus dieser überaus problematischen Zeit 1520/1521, mit Verleumdungen und Schmähungen, Spottgedichten und körperlichen Auseinandersetzungen, geht das spätere Bild von Thomas Müntzer als Schwärmer und Mordpropheten hervor. Als er der Aufforderung des Zwickauer Rats, den Streit beizulegen, nicht folgte, wurde er am 16. April 1521 entlassen. (Genau in diesen Tagen stand Luther vor dem Reichstag in Worms.) Zwickau trennte sich von dem radikalen Prediger. Nicht alle Bürger waren damit einverstanden. Es kam zu einem spontanen Tumult. Die Entlassung Müntzers und der Aufstand zeigen, dass der Kampf um die Reformation in der Lage war, sich zu einem sozialen Aufstand auszuweiten.

Thomas Müntzer reiste nach Prag, einer Stadt, in der es ebenfalls bereits Aufstände gegen die römische Kirche gab. Hier wurde ihm jedoch der Zugang zu den Kanzeln der Stadt verwehrt. Um trotzdem gehört zu werden schreibt er den „Prager Sendbrief“ und klagt die Kirche an. In dieser Schrift stehen Sätze wie: „das dye unbefleckte, jungfraweliche Kyrche ist alßo bald von den vorfurisschen pfaffen zcu einer huren worden“ oder „vom lebendigen Worth Gots ist keyn mal das maul aufgethan“. Müntzer selbst versteht sich als Knecht des Herrn. Er hat eine unverhohlene Sympathie für das arme Volk. Statt des gekauften Ablasses predigt er die unmittelbare Offenbarung des göttlichen Geistes im Menschen, eine mystische Frömmigkeit. Seine wahre Rede von Gott entspringt allein in der Gotteskindschaft, wo der Vater den Sohn anspricht im Herzen des Menschen allein durch Gnade. Auf die Lebendigkeit der Gotteserfahrung kommt es ihm an: „das dye herczen der menschen seyn das papyr adder pergament, do Got myt seynem finger seynen vnvorrucklichen willn und ewyge weysheyt mit tinten inscreybt“. Er sieht den auserwählten Laien, weniger den studierten Theologen. Bereits Ende November muss er wieder die Stadt verlassen und reist nach Erfurt. Wie lange er dort geblieben ist, ist nicht bekannt.

Im April 1522 predigt Müntzer in seiner Heimatstadt Stolberg, später im nahe gelegenen Nordhausen. Immer wieder gerät er in Schwierigkeiten. Alles deutet auf heftige Auseinandersetzungen hin. In Zwickau, Prag, Erfurt, Nordhausen, überall wird er vertrieben. Er ist ein ruhelos wandernder Rebell, den wegen seines berüchtigten Rufs keiner haben will. Glücklos sucht er nach einer Anstellung. Jetzt ist Müntzer mittellos. Seine Situation ist desolat. Doch scheint er Anfeindungen, Rückschläge und äußere Not als Bestätigung empfunden zu haben, auf gottgewolltem Weg zu sein, ein „williger botenleuffer Gots“.

Er fand dann doch noch in Allstedt 1523 eine Anstellung als Pfarrer an der Hauptkirche. Möglicherweise glaubte der Rat von Allstedt im Einvernehmen mit der Obrigkeit zu handeln, eine kurz vor Ostern vakante Stelle mit einen überaus gelehrten Prediger zu besetzen.

Müntzer war überzeugt davon, dass der Verfall der christlichen Kirche bereits mit dem Tod des Apostel Paulus einsetzte und sich die bisherigen Gottesdienste und auch die Seelsorge weit von ihrem Ursprung entfernt hatte. Schuld daran waren die Paffen und Mönche, „eyttel larven“ mit „abgöttische(n) geberde(n)“. Er ändert die lateinische Liturgie in die deutsche Sprache, damit die Gläubigen nicht „so grob und unverstendig wie ein hackeblock bleyben“.

Immer mehr gibt es nun gedruckte Liturgieformen in Deutsch, wobei Müntzer den einstimmigen gregorianischen Gesang beibehält. Luther gefällt das nicht, er findet, die deutsche Sprache eigne sich nicht für die Gregorianik. Müntzers Liedübersetzungen wurden jedoch im Gottesdienst von der Gemeinde mitgesungen und die Gemeinde damit in den Gottesdienst mit einbezogen. Er zeigt einen Weg auf, den die „Ankunft des Glaubens“ im „Abgrund der Seele“ vorbereitet: Der Mensch „sol und muß wissen, das Got in ym sey …“, das kann er nur, wenn er den Gottesdienst in seiner Sprache verstehen kann. Müntzer führte in Allstedt noch vor den Wittenbergern Änderungen im Ablauf des Gottesdienstes durch. Aber er ist vorsichtig. Die von ihm darüber hinaus verfassten Schriften, welche eifrig gedruckt ihren Weg zum Volk finden, beginnen oft mit einer Warnung vor Aufruhr. Er ist überzeugt, bei einem wahrhaft Glaubenden „kumpt der Herre und reg(i)ert vnde stösth dye tyrannen zu bodem“. Er meint Kirche und Staat und ergänzt drastisch, dass dies „von keinem pulversacke umbgestossen mag werden“. Es wird sehr politisch.

Die Obrigkeit fühlt sich angegriffen und verbietet dem Volk, die Gottesdienste von Müntzer zu besuchen. Müntzer seinerseits wettert von der Kanzel gegen den Landesherrn und droht sogar dem Grafen Ernst von Mansfeld, wenn er nicht nachgebe, werde er, Müntzer, der Allstedter, viel ärger mit ihm umgehen als Luther mit dem Papst. Allstedt stand geschlossen hinter Müntzer: Ein Bollwerk der beginnenden Reformation in einer altgläubigen Umgebung.

Im Oktober 1523 ist Müntzer noch sicher, die Unterstützung des Kurfürsten Friedrich des Weisen zu haben. In einem Brief schildert er die in Allstedt begonnene Erneuerung der „armen ellenden erbarmlichen christenheit“. Luther unterdessen forderte Müntzer heimlich durch einen Mittelsmann auf, nach Wittenberg zu kommen und sich belehren zu lassen. Müntzer möchte öffentlich diskutieren und lässt sich auf heimliche Gespräche nicht ein. Doch im November wird Müntzer zu einem Lehrgespräch zum Kurfürsten, der einen Zwischenstopp auf einer Reise macht, auf das Allstedter Schloss gebeten, in welchem auch die Stellung Müntzers zu Luther zur Debatte steht. Müntzer antwortete schriftlich, wobei er mehrfach betont, sich nicht an abgeschiedenen Orten vernehmen zu lassen, nicht „im Winkel“ wie er schreibt. Seine Schriften waren wohlbedacht, selbstbewusst und bestimmt, aber moderat im Ton, um auch die Wittenberger Reformer zu schonen, die immer mehr ins Kreuzfeuer der Kritik gerieten.

Im Jahr 1523 konnte Müntzer relativ ruhig die Reformation in Allstedt nach eigenen Vorstellungen voran bringen. Es muss ihm deutlich gewesen sein, dass um die Erneuerung der Kirche hart gerungen werden würde. Auch heiratete er, ein Geistlicher, in diesem Jahr wie Luther eine ehemalige Nonne, Ottilie von Gersen. Das erregte einiges Aufsehen.

Luthers Aufforderung an die Allstedter, sich von Müntzer zu trennen, wurde ignoriert. Im Gegenteil, es kam zu offenem Ungehorsam. Eigenwillig beschloss der Rat der Stadt mit Müntzer, Abgaben an ein Kloster einzubehalten und mit diesen freiwerdenden Mitteln die Armenfürsorge auszubauen, worauf das Kloster eine Klage beim Kurfürsten einbrachte. Trotzdem begannen die Allstedter die reformerische Erneuerung politisch und sozial umzusetzen. Sie gründeten einen Bund, dem wohlhabende Bürger angehörten und dem sich später auch die Bauern anschlossen.

Langsam verlässt Thomas Müntzer den lange gemeinsam beschrittenen Weg mit den Wittenberger Reformatoren und übt nun neben der Zustimmung zur Reformation in Wittenberg auch Kritik.  

Er hält nichts von der Kindertaufe. Für ihn ist dies ein Sakrament an Unwissende. Erst wenn im „ynnerliche(n) wesen“ das Heil verstanden werde, ist der Mensch auserwählt. Glauben dürfte nicht von „außen“ kommen, sondern aus dem tiefen Innern der Seele. Diese Sicht war bereits von Mystikern wie Meister Eckhart, Johannes Tauler oder Heinrich Seuse vertreten worden. Die Menschen dürften sich nicht auf den äußeren Buchstaben der Heiligen Schrift verlassen. Müntzer erklärt dies alles in seiner Schrift „Von dem gedichteten Glauben“, dass Glaube in Werken sichtbar wird und die Taufe den Auserwählten auf den Weg führt, auf dem die Sünde überwunden und der Geist Gottes von ihm Besitz ergreift.

Müntzer scheint ein begnadeter Prediger gewesen zu sein. Bürger, Bauern, selbst Knappen aus dem Kupferbergbau strömten herbei und hörten den „fleissigen, unverdroßenen gottisknechte teglich die biblien treiben mit syngen, lesen und predigen“.  

Andernorts gab es seit Jahren bereits Bauernaufstände, die sich der viel zu hohen Abgaben wegen gegen die Klöster wendeten. Immer mehr störte auch die Anhänger Müntzers das Wirken der Mönche und Nonnen in der näheren und weiteren Umgebung. Ein Dorn im Auge war den Allstedter Bürgern vor allem eine Kapelle in einem Wald nahe der Stadt. Eine Wallfahrtsstätte mit einem wundertätigen Marienbild. Sie schüchterten den Klausner ein, plünderten und zerstörten. So stand das Gebäude bald leer und verwahrloste. Am Gründonnerstag, dem 24. März 1524, zogen einige Allstedter während des Gottesdienstes dort hin und brannten die Kapelle nieder. Müntzer selbst tritt nicht in Erscheinung. Er hatte aber die Kapelle in einer Predigt eine „spelunkge“ genannt, „ein abgotterey mit den zeychen, dye man von wachs hyn tregt“.

Das dazugehörige geschädigte Kloster verlangte beim Kurfürsten Bestrafung der Übeltäter. Friedrich der Weise holt in Allstedt selbst Erkundigungen ein. Allstedt weist alle Schuld von sich und beschuldigt seinerseits das Kloster, selbst den Brand gelegt zu haben. Der Spieß wurde einfach umgedreht. Der Kurfürst misstraute der Antwort und übergab den Fall dem Hof zu Weimar. Die Allstedter taten alles, um die Ermittlungen zu verhindern. Als dann ein Bürger verhaftet werden soll läutet Müntzer die Sturmglocke. Die Allstedter liefen zusammen, bewaffnet mit Gabeln und Hacken und verhinderten mit ihrem Auflauf die Gefangennahme.

Als der in Weimar regierende Bruder des Kurfürsten, Johann der Beständige, ebenfalls auf einer Reise Zwischenstopp im Allstedter Schloss machte, bot sich Müntzer auf eine Einladung hin die Gelegenheit vor ihm zu predigen. Er hält seine historische Fürstenpredigt. Müntzer wusste von dem Einfluss Luthers auf den Weimarer Hof und war sehr darauf bedacht, seine Sicht der Reformation der Kirche darzulegen. Er wich dem Problem dieser aufgewühlten Tage, wie die Erneuerung der Christenheit erreicht werden könnte, nicht aus, selbst auf die Gefahr hin, den Unwillen des Fürsten vollends herauf zu beschwören. Er wollte den Fürsten davon überzeugen, dass es gute Gründe gab, Luther zu misstrauen.

Während Luther gemäß Römerbrief 13 die Landesherrn anerkennt und zu Gehorsam aufruft (Jedermann sei untertan der Obrigkeit), ist Müntzer der Überzeugung, dass das Ende der Zeiten bevorsteht und Gott nur durch die auserwählt Gläubigen die Erneuerung der Christenheit bewirkt, und dass das nicht zwangsläufig die Fürsten sein müssen. Sein Gedanke war, sollte die Obrigkeit ihre Pflicht verletzen, werde ihr das Schwert genommen, dabei beruft er sich auf die Bibelstelle Daniel 7, 27 (Das Reich und die Macht und die Gewalt über die Königreiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten gegeben werden). Müntzer mutete seinen Fürsten einiges zu und wiederholte die Bitte auf eine öffentliche Anhörung.

Thomas Müntzer wurde ohne Echo zurückgelassen. Ihm wurde nur gesagt, in Zukunft eventuelle Schriften vor dem Druck vom Hof erst genehmigen zu lassen. Dem widersetzte er sich. Er ließ die Fürstenpredigt drucken und gab sie der Öffentlichkeit preis.

Der Adel wehrte sich und versuchte, Gottesdienstbesucher von der Messe fern zu halten und die leibeigenen Bauern einzuschüchtern. Allstedt füllte sich daraufhin mit Flüchtlingen. Müntzer warnte das Volk und bat, keinen aktiven Widerstand zu leisten. Er versicherte, dass Gott seine Auserwählten nicht verlässt. Es kam zu Unruhen und Ende Juli 1524 bildete sich eine „nothwere“ gegen die Gottlosen. Die Allstedter Männer und Frauen bewaffneten sich vorsorglich.

Am 31. Juli und 1. August ordnete der Hof in Weimar ein Verhör an, an dem Müntzer mit Amtmann, Schultheiß und zwei Ratsherrn teilgenommen hat. Müntzer wurde das Predigen verboten, der Drucker in Allstedt, der Müntzers Schriften druckte, entlassen. Die Lage wird mehr und mehr aussichtslos und in der Nacht vom 7. auf den 8. August 1524 flieht Müntzer „uber des stetlins mawer heymlich“.

Nach seiner Flucht aus Allstedt brauchte Müntzer keine Rücksicht mehr auf die Wittenberger Reformatoren zu nehmen, er nannte diese öffentlich Schriftgelehrte und Luther insbesondere Bruder Sanftleben. Dieser wendet sich gegen Müntzer. Müntzer ist wütend und verbittert, alles was in Wittenberg so verheißungsvoll begonnen hat, endet ohne merkliche Verbesserung.

Während Müntzer in seiner mystischen Vorstellung von der Ankunft Gottes im „Abgrund der Seele“ im Hier und Jetzt handelt und spricht, er denkt dabei an die apokalyptische Endzeit, bleiben die Reformatoren in Wittenberg fest in der Tradition der Heiligen Schrift. Sie sind eher zukunftsorientiert. Es gibt sehr differenzierte Bibelauslegungen, von Luther eher vernunftorientiert gegenüber der Obrigkeit, und von Müntzer, tief verwurzelt in der mittelalterlichen Mystik, als Fürsprecher der armen Leute, gegen die Obrigkeit. Die beiden finden keine Übereinstimmung mehr.

Mitte August 1524 taucht Müntzer in Mühlhausen im Harz auf. Er wird freundlich begrüßt und findet Gleichgesinnte. Die Bürger waren bereits durch Luther vor dem „reyssenden Wolff“ gewarnt worden. Die Stadt war in Aufruhr, Bürger stellten sich gegen den Rat der Stadt und umgekehrt. Müntzer wird bereits einen Monat später wieder ausgewiesen.

Im Oktober gibt es in den Gassen von Nürnberg Streitgespräche gegen die Einführung der nach Luther orientierten Reformation. Es werden Drucke von Schriften gefunden, die sehr nach Thomas Müntzer klingen. Auch in Augsburg tauchten diese Exemplare auf.

Ende 1524 gibt es Hinweise auf eine rege Reisetätigkeit Müntzers. Er soll Gespräche mit Reformatoren in Basel geführt haben und Ende des Jahres mehrere Wochen in Griessen im Klettgau am Oberrhein gewesen sein, einem von bäuerlichen Unruhen gebeutelten Gebiet. In dieser Zeit bewegte er sich in Übereinstimmung mit denjenigen, die die Reformation des „gemeinen Mannes“ anstrebten.

Im Februar 1525 ist Müntzer in Fulda und kehrt Ende des Monats nach Mühlhausen in den Harz zurück. Er wird mit offenen Armen von den Gemeindemitgliedern empfangen, nicht vom Rat der Stadt. Es brodelt an allen Ecken und Enden, ein Angriff des Adels auf die Stadt Mühlhausen ist nicht auszuschließen. Am 9. März riefen Müntzer und der mit ihm ebenfalls in Mühlhausen streitende Prediger Heinrich Pfeiffer die Bevölkerung zu einer ersten Musterung vor der Stadt auf, um auf einen möglichen Angriff feindlicher Söldner militärisch vorbereitet zu sein. Mehr als zweitausend Personen waren gekommen, Städter und Bauern. Müntzer inspizierte die Wehrwilligen hoch zu Ross und hielt eine geharnischte Feldpredigt gegen Kaiser und Fürsten. Er forderte zum Schwur auf. Doch der Hauptmann wies ihn in seine Schranken. Es gab keinen Schwur, die Menge kehrte in die Stadt zurück. Mühlhausen war noch unruhiger geworden als bisher.

In der Vergangenheit war die freie Reichsstadt Mühlhausen so schwach geworden, dass sie sich in die Schutzherrschaft der hessischen und sächsischen Landesherrn begeben musste. In dem Augenblick jedoch, in dem das politische System der Stadt eine andere Richtung einschlug, musste mit dem Unwillen der Schutzherren gerechnet werden, vielleicht sogar mit einem militärischen Angriff. An den Kurfürsten Georg von Sachsen traten geflohene Mühlhausener heran und forderten, dem Treiben in der Stadt ein Ende zu setzen. Doch der Fürst war sich der Gefährlichkeit eines offenen Angriffs auf die Stadt bewusst und zögerte noch. Eine äußerst bedrohliche Situation für Mühlhausen. Mit einer erneuten Musterung rüstete sich die Stadt dann doch zum Kampf. Müntzer stattete die gemusterten und zur militärischen Verteidigung bereiten Bürger mit einer Fahne aus, die Fahne des „ewigen Bundes“. Auf weißem Grund war ein Regenbogen zu sehen, das alttestamentliche Symbol für den ewigen Bund, den Gott nach der Sintflut mit den Menschen geschlossen hatte. Noch hielten sich beide Seiten zurück.

Nicht nur im Harz weiteten sich die bäuerlichen Unruhen aus, Aufruhr gab es im ganzen Land von Süden nach Norden. Müntzer steht eindeutig auf der Seite des gemeinen, bäuerlichen Volkes und streitet für bessere Lebensbedingungen. Er schreibt in dieser Zeit anklagend in seiner „hochverursachten Schutzrede“ über die Anmaßung des Adels, dass „die Visch im Wasser, die Vögel im Luft, das gewechß auff erden (…) alles ir (nur für die Herrschaft)“ seien.

Um Ostern 1525 beginnt der Bauernkrieg im ganzen Land einen stürmischen Verlauf zu nehmen und breitet sich wie ein Flächenbrand von Süden nach Norden aus. Vom Oberrhein über den Schwarzwald, das Elsass, die Ufer des Bodensees, Allgäu, Franken, das Neckartal, der Odenwald, alles steht in Aufruhr. In der Karwoche erreichen die Unruhen Fulda und bewegen sich nach Thüringen fort. Schlösser gehen in Flammen auf, Klöster werden geplündert. In dieser Zeit stirbt Kurfürst Friedrich der Weise. Auf seinem Sterbebett schreibt er an seinen Bruder Johann den Beständigen nach Weimar: „Filleicht had man der armen leuten zu solchem aufrure orsach geben (…) Got wend sein Zorn von uns“.

Müntzer reagiert völlig anders. Er zweifelte nicht, dass ein Aufstand gegen die Obrigkeit Gottes Wille ist und ist voller Euphorie, Freude und Tatendrang. Offensichtlich dachte er, dem Weltgericht Gottes nahe zu sein, der Trennung von Spreu und Weizen nach Matthäus 13.

Herzog Georg von Sachsen drängt jetzt darauf, Mühlhausen zu isolieren, um die Unruhen einzudämmen. Mühlhausen war inzwischen militärisch aufgerüstet. 130 Berittene und 2000 Mann zu Fuß standen bereit. Müntzer hatte sie auf einem Pferd sitzend in ihrem Kampfgeist gestärkt. Die Kampfbereiten verpflichteten sich mit einem Schwur das Evangelium zu verteidigen. Jetzt fordert er auch die Allstedter auf, für den Herrn zu streiten („dran, dran, weyl das Feuer heis ist …“). Müntzer warb mit großer Überzeugung für ein Bündnis im ganzen thüringischen Raum. Solange der Mensch von der Sorge um die nackte Existenz verzehrt werde, könne der wahre Glaube nicht entstehen.

Er war zum Revolutionär geworden. Eigentlich begann die Abgrenzung schon mit dem ersten selbständigen Gedanken in der Tradition der deutschen Mystik. Die ständige Beschäftigung seiner Theologie über die reale Situation der Menschen steigerte sich zur militanten Konsequenz.

Als am 25. April 1525 ein Amtmann in Langensalza Prediger hinrichten lassen wollte rückten die Mühlhausener mit vierhundert bis sechshundert Mann aus, um den Bedrängten in der Nachbarschaft zu helfen. Für Müntzer war dies der Beginn der kriegerischen Auseinandersetzung. Anführer des Marschs nach Langensalza war sein Mitstreiter Heinrich Pfeiffer. Der Rat von Langensalza versuchte noch einmal die Wogen zu glätten, beschwichtigte den vor den Toren lagernden Haufen mit zwei Fass Bier und bewegte ihn zum Abzug. Doch immer mehr Aufständische schlossen sich dem bewaffneten Kampf an. Bürger zogen aus, plünderten Klöster und Rittersitze.

Der Thüringer Aufstand war sicherlich nicht allein das Werk Müntzers. Er hat sich aber in der Endphase an die Spitze „des großen Haufens“ bei Frankenhausen gesetzt. Ohne Zweifel hat er in diesen letzten Tagen ein entscheidendes Wort mitzureden. Er fungierte sogar als Richter und verurteilte nach öffentlicher Beratung mit der Gemeinde drei Gefangene zum Tode. Dies war keine Willkür, sondern ein Urteil auf der Grundlage einer neuen Halsgerichtsordnung eines der Reformation Müntzers nahe stehenden Ritters. Wo das Volk die Herrschaft übernahm, musste das Recht neu geordnet werden. Die Maxime Müntzers war: Alles gehörte allen.

Müntzers Heer, der große Haufen vor Frankenhausen, war zwischen sechs- bis achttausend Aufständische stark. Er war ihr geistlicher Anführer geworden. Am 14. Mai rückten die Truppen Philipps von Hessen an, die zuvor die Bauern bei Fulda geschlagen hatten. Sie wurden jedoch von den Aufständischen zurückgedrängt. Allein konnten die Hessen nichts ausrichten, sie warteten auf den Zuzug Braunschweiger und sächsischer Truppen. Die Revolutionäre verbarrikadierten sich in Form einer Wagenburg auf dem Hausberg von Frankenhausen, am Fuße des Kyffhäusers. Die fürstlichen Truppen umzingelten die Stadt und rückten den Bauern bedrohlich nahe. Selbst jetzt wollten die Gemäßigten um Müntzer noch verhandeln, die Radikalen im Lager aber zum Angriff übergehen. Es kam zu Verhandlungen, die Fürsten forderten die Auslieferung des „falschen propheten Thomas Montzer sampt seynem anhange lebendig“. Der bäuerliche Haufen tat sich schwer, eine Entscheidung zu finden. Müntzer erinnerte in einer bewegenden Predigt, dass sie nicht einen eigenen sondern Gottes Kampf führen, und dass Gott selbst zu Hilfe kommen werde. Der Chronist, Hans Hut, der dabei gewesen war, schildert, dass gerade in dem Augenblick um die Sonne ein farbiger Hof erschien, ein Sonnenhalo. In dieser regenbogenartigen Erscheinung sah Müntzer ein Zeichen Gottes, eine Ankündigung des Sieges.

Unmittelbar nach Müntzers Predigt und der Sonnenerscheinung schlugen die fürstlichen Heere so schnell zu, dass die Bauern es mit der Angst bekamen und auseinanderstoben. Die Söldner setzten nach, hieben und stachen, schlugen und würgten, ein fürchterliches Gemetzel. Ein lutherfreundlicher Rat von Frankenhausen schrieb danach an den Herzog von Mansfeld: „… hier wird nichts gesucht, den raub und mord“. Über sechstausend Aufständische sollen getötet worden sein, die Fürsten sollen nur sechs Mann verloren haben. Über die Gefangennahme Müntzers gibt es verschiedene Versionen. In einem Brief, den Luther erhielt, steht: „wie Müntzer gefunden, gefangen und sich gehalten (…) so ist die sage mancherlei“.

Müntzer wurde auf das Schloss von Heldrungen gebracht und es begann für ihn ein unsägliches Martyrium. Er wurde einem strengen Verhör unterzogen, teilweise unter Folter. Sein „Bekenntnis“ vom 16. Mai und sein „Brief an die christliche Gemeinde und den Rat zu Mühlhausen“ dürfte er aufgrund seines schlechten körperlichen Zustands nur diktiert haben. Dabei wird so manche Wendung des Schreibers eingeflossen sein. Auch sein „Widerruf“ vom 17. Mai ist nicht unumstritten.

Müntzer blieb sich selbst im Angesicht des Todes treu. Seine Botschaft an das Volk und die Herrschenden war: Recht hat einzig und allein Gott. Der fromme Herzog Georg von Sachsen soll durchgesetzt haben, dass Müntzer Gelegenheit hatte, vor seiner Hinrichtung das Abendmahl zu empfangen, der Überlieferung nach mit altem Ritus.

Die Stadt Mühlhausen hielt sich noch bis zum 25. Mai und ergab sich dann kampflos den Truppen verschiedener Landesherren. Müntzer befand sich mit seinem Mitstreiter Heinrich Pfeiffer im Fürstenlager bei Mühlhausen. Bevor beide vor den Scharfrichter traten, wurden sie noch einmal aufgefordert, öffentlich zu bereuen. Müntzer sollte sich als Aufrührer schuldig bekennen und den Bruch des Zölibats bedauern. Er weigerte sich. Stattdessen ermahnte er mit letzter Kraft die Fürsten, geschwächt und kaum in der Lage zu sprechen, das Arme Volk nicht noch mehr zu belasten, die alttestamentlichen Königsbücher zu lesen, um zu lernen, wie das obrigkeitliche Amt gottgefällig zu führen sei.

Beide Aufrührer wurden am 27. Mai 1525 vor den Toren Mühlhausens mit dem Schwert hingerichtet. Ihre toten Körper wurden vor den Toren der Stadt zur Schau gestellt.

Nicht nur Pfeiffer und Müntzer mussten ihr Leben lassen, auch fünfzig weitere Bürger wurden hingerichtet, andere büßten ihr Vermögen ein oder zahlten hohe Strafen. Der Stadt Mühlhausen wurde ein Strafgeld von vierzigtausend Gulden auferlegt. Die Spur von Ottilie von Gersen, der Witwe Thomas Müntzers, mit ihrem kleinen Sohn und hochschwanger mit einem zweiten Kind, verliert sich im Dunkeln der Geschichte. Die Bitte Müntzers, sie nicht mittellos zurück zu lassen und ihr seinen Nachlass auszuliefern, wurde nicht erfüllt.

Ute Löb

Quelle: Hans-Jürgen Goertz: Thomas Müntzer – Revolutionär am Ende der Zeiten


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