„Meraviglioso“
Bekannt wurde Modugno weltweit vor allem durch Liebeslieder, gesungen von einem Italiener, wie man ihn sich im Europa der 60er Jahre gerne vorstellte: Der Reifen-Reparateur, der nach Feierabend mit öligen Händen und pomadigen Haaren im verschwitzten Unterhemd auf seiner Gitarre virtuos die Liebe zu seiner Angebeteten besingt.
Auch „Meraviglioso“ (zu deutsch: fabelhaft, fantastisch) ist ein Liebeslied. Allerdings geht es hier nicht um die Liebe zwischen Menschen, sondern um die Liebe zu der Welt. Der Sänger erzählt in dunklem, tristem Moll, wie er des nachts auf einer Brücke in der Stadt lief und hinabblickt in das dunkle Wasser. Plötzlich ergreift ihn diese Dunkelheit und die Tiefe, in die er schaut, schaut zurück. Und er hat den „dannata voglia“, den „verdammten Wunsch“, sich von der Brücke in den Abgrund des Wassers zu stürzen. Dann aber, so geht das Lied weiter, berührt ihn jemand an seinen Schultern. Vielleicht ein Engel, singt Modugno, als Passant gekleidet, und spricht zu ihm.
An dieser Stelle endet die Moll-Tonart und das Lied wendet sich in ein freudiges, temporeiches Dur. In Live-Aufnahmen ist dies der Moment, in dem man hört, wie das Publikum klatscht und mitsingt: „Meraviglioso“ singt dieser Engel, „wie konntest du das nicht sehen? Schaue um dich herum, welche Geschenke für dich gemacht wurden: Das Meer wurde erfunden!“ Modugno singt dieses Wort „il mare“ mit einem solch kraftvollen Ausdruck, dass diese Freude über das Meer direkt die Herzen der Zuhörer ergreift. „Du denkst, du hast nichts? Aber scheint dir das nichts zu sein: Die Sonne, das Leben, die Liebe?“ Dabei dringen allein die Begriffe „il sole, la vita, l´amore“ wie Magie ganz tief in die Seele. „Das Licht des Morgens, die Umarmung eines Freundes, das Lachen eines Kindes“. Sogar dein Schmerz: Meraviglioso!
Dann setzt der Chor ein und Modugno kann nur noch ohne Text weitersingen, so sehr strahlt diese Lebensfreude aus ihm heraus. Und auch mir geht der Foxtrott-Rhythmus in die Beine und ich fühle mich wie an einem luftigen Sommerabend am Meer, mit einer Tanzkappelle und leichten Füßen.
Aber da ist noch mehr in mir als die Lebensfreude von Modugno, die sich auf mich überträgt. Da ist auch das Gefühl, dass dieses Lied nicht nur ein oberflächliches, schnulziges Sommer-Liebeslied der 60er Jahre ist, das seicht über die Transistor-Radios der damaligen Zeit durch Europa schepperte. Mich bewegt dieses Lied bereits seit vielen Jahren in besonderer Weise, denn ich finde, dass der zweite Teil des Liedes, in dem es um die Welt geht, die „Meraviglioso“ ist, der Abgrundtiefe des Anfangs eine bewusste Leichtigkeit entgegensetzt, die mich tief berührt. Dieses Lied entfaltet gerade durch beides, den Moll- und den Dur-Teil, seine außergewöhnliche Kraft. Im Abgrund nicht das Dunkle zu sehen, sondern stattdessen vom Meer, der Liebe und dem Lachen eines Kindes zu singen: Das ist stark und bewegt mich immer wieder.
„Du hast mir meine Klage verwandelt in einen Reigen, du hast mir den Sack der Trauer ausgezogen und mich mit Freude gegürtet, dass ich dir lobsinge und nicht stille werde“. Ich finde, besser kann man diese Worte aus dem 30. Psalm nicht in Musik fassen, als Domenico Modugno das mit „Meraviglioso“ tut.
„La notte era finita“, die Nacht war zu Ende, so endet das Lied, „und ich spürte dich wieder: Geschmack des Lebens - Meraviglioso“.
Es grüßt Sie
Ihr Pfarrer Bahre