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Leon will aus der Kirche austreten

Die Konfirmation von Leon ist schon ein paar Jahre her. Aber als er den Pfarrer Frohmuth auf der Straße trifft, freut er sich doch.

Das Jahr vor der Konfirmation war eine schöne Zeit gewesen. Der Pfarrer erkennt ihn auch gleich, nur muss er erst mal überlegen: wie heißt der Junge eigentlich? Er hatte ja seitdem viele andere Jugendliche zur Konfirmation begleitet. Aber dann fällt ihm doch noch was ein: Das war doch der Junge, der sich als Konfirmationsspruch einen Vers aus dem 139. Psalm ausgesucht hatte: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten!“ Das hatte ihn beeindruckt. Der Pfarrer fragt: „Wie geht es dir? Ich darf doch noch Du sagen? Du bist erwachsen geworden. Du hast doch jetzt ausgelernt und verdienst eigenes Geld?“ Am Gesichtsausdruck seines ehemaligen Konfirmanden kann er ablesen, dass er das besser nicht gefragt hätte; er war da auf was getreten. Ein älterer Kollege hatte Leon gerade klargemacht, dass er nun Steuerzahler sei, und dass da auch Kirchensteuer anfällt. Das sind zwar nur 9% von der Lohn- und Einkommensteuer, aber die kann er sich sparen, wenn er aus der Kirche austritt. Seine Freundin Michelle war von dieser Idee gar nicht begeistert gewesen. Sie hatte mit ihrer Oma oft darüber geredet, dass der Glaube wichtig ist. Und sie hatte die kirchliche Trauung im Blick mit weißem Kleid und Orgelklang. Aber Leon hatte das weit weg geschoben: „Wir sind doch erst ein Jahr zusammen, wer wird da schon ans Heiraten denken?“  Und dann kann er sich natürlich vorstellen, dass sein Kollege spotten wird, wenn er ihm sagt: „Nein, ich trete nicht aus, das ist nicht mein Ding, und meine Freundin hält gar nichts davon. Die hat mich letzte Weihnachten in die Martinskirche geschleppt und gesagt: Das gehört einfach dazu!“  Es entstand erst einmal eine Pause bis der Pfarrer Frohmuth fragt: „Ist da was? Kann ich was tun?“ Leon antwortet: „Wir müssen reden.“ Und so ergibt sich mitten auf dem Bürgersteig ein intensives Gespräch. Der junge Mann ist erleichtert, als er merkt, dass der Pfarrer ihm keine Vorwürfe macht, sondern Verständnis für seine Lage aufbringt. Der hat ihm auch seinen Konfirmationsspruch nicht untergerieben. Das hast du doch selbst ausgesucht: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer...“

Vorsichtig fängt Leon an: „Ja, das, was ich damals gelernt habe, das bleib mir doch. Das hat doch auch mit dem Geld nichts zu tun!“ Frohmuth ist schon dabei, aufzuzählen, dass die Kirche halt Geld braucht und will auf die Martinskirche zeigen, die über die Häuser ragt. „Was glaubst Du, was das kostet, wenn die Fenster repariert werden müssen oder die Heizung ist kaputt. Und nur so als Beispiel, für den Kindergarten hat unsere Gemeinde € 97.691,00 im Budget, das sind fast hunderttausend Euro. Wir brauchen die Kirchensteuer.“ Das alles kommt ihm jetzt zu grob vor, obwohl es ja stimmt und er ist lieber still. „Weißt du“, sagt er schließlich, „Wir sind doch wie eine große Familie, und wenn da einer nicht mehr dabei sein will, dann macht mich das richtig traurig. Und wenn man als Mensch weiterkommen will, braucht man Andere, mit denen man reden kann. Das ist bei vielen Sachen so und beim Glauben und beim Gewissen genau so. Ja, ich weiß, dass viele junge Leute nach der Konfirmation erst einmal andere Gedanken haben und sich selten in der Kirche blicken lassen. Jetzt scheint in deinem Leben die Sonne, aber wenn du mal mit dir selbst nicht einig bist, oder dir ist was schiefgegangen und du musst dir sagen: Da bin ich doch selbst schuld dran! da warten in deiner Kirche Menschen auf dich, die dich verstehen und dich nicht gleich niedermachen und da ist immer ein Pfarrer, bei dem du dich aussprechen kannst, der darüber auch Stillschweigen bewahren muss. Aber wenn du ausgetreten bist, da kommt dir vielleicht der Gedanke: Da kann ich doch jetzt nicht hingehen!“ Der junge Mann merkt, dass dem Pfarrer die Sache nicht einerlei ist, obwohl der das doch schon öfter erlebt haben muss, dass einer der Kirche den Rücken gekehrt hat. Als er merkt, wie der Pfarrer Frohmuth ihn anschaut und ganz traurig aussieht, ist ihm das auch nicht egal. Und er sagt vorsichtig: „Ja, ich weiß doch, wo Sie wohnen und dass ich zu ihnen an die Tür kommen kann, wenn ich mal mit mir selber nicht einig bin und keiner nimmt mich ernst.“ 

Und dann erinnert er sich an seine Konfirmandenzeit und daran, dass die Gottesdienste ihm in diesem schwierigen Lebensabschnitt immer was gegeben hatten, auch wenn er manchmal gemeint hatte: Das ist ganz schön altmodisch.  Und plötzlich ist die Sache mit dem Austritt aus der Kirche nicht mehr so einfach für ihn und er denkt: Was mein Kollege sagt, kann mir doch egal sein. Ich muss doch selbst wissen, was ich will. Ich müsste auch mal mit Michelles Oma reden. Er sagt aber nur knapp: „Ich muss weiter. Ich werde noch mal darüber nachdenken.“  Der Pfarrer Frohmuth umarmt ihn herzlich.  Beide gehen nachdenklich ihrer Wege. Der Pfarrer hat es plötzlich eilig. Eine Familie, die einen Trauerfall hat, wartet auf ihn. Aber der Spruch aus dem 139. Psalm lässt ihn noch eine Weile nicht los: „Nähme ich Flügel der Morgenröte und bliebe am äußersten Meer, so würde auch dort deine Hand mich führen und deine Rechte mich halten!“ Da heißt es doch auch: … Am Ende bin ich noch immer bei Dir.“  Aber dann sagt er sich: „Die Familie hat sicher schon selbst einen schönen Bibelspruch ausgesucht“ und geht auf eine Haustür zu und klingelt.

Dieter Borck, Pfr. i.R.


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