Hoffnung in der Pupille
Analog dazu lässt sich ein Gegenbild entwerfen, das freilich keiner wünscht: Stell Dir vor, es ist Kirche, und keiner geht hin. Nicht vorstellbar? Gewiss. Das möge – und wird – Gott verhindern; er hält es ohnehin in der Hand, schließlich ist es seine Kirche und sein Wort ewig.
Doch manche Entwicklung, die in unserer Zeit gezeichnet wird, alarmiert eben dennoch: Laut Prognose der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) wird sich die Zahl der Kirchenmitglieder bis zum Jahr 2060 vom derzeitigen Stand in etwa halbieren, und sie ist ja auch in den letzten zehn, zwanzig Jahren schon deutlich geringer geworden. Dazu trägt zum einen der vielbeschriebene Demographische Wandel bei, aber es gibt auch „beeinflussbare Faktoren“, wie sie die EKD nennt, so etwa die Zahl der Aus- bzw. Eintritte und Taufen.
Obendrein wird es bis dahin auch deutlich weniger Pfarrerinnen und Pfarrer geben. Schon in den kommenden knapp zehn Jahren gehen in unserer Landeskirche, der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN), viele von ihnen in den Ruhestand, und es kommen sehr viel weniger nach, sodass es dann nur noch einen Personalbestand von zwei Dritteln gegenüber jetzt geben wird.
Doch bis 2060 zu denken und zu planen, ist schwierig. Selbst für zehn Jahre voraus fällt es nicht leicht, wie etwa ganz deutlich die Corona-Pandemie gezeigt hat, von der vor genau zwei Jahren selbst die kühnsten Theoretiker und phantasiebegabtesten Menschen nicht die leiseste Ahnung haben konnten. Dennoch muss freilich anhand gegebener Fakten und Zahlen strategisch geplant werden, frei nach dem Motto: Das, was man tun kann, muss man auch tun. Die Grundfrage lautet dabei: „Was ist eigentlich unser Auftrag als Kirche unter den neuen, gegebenen Bedingungen in der Zukunft?“
Unsere Landeskirche hat darum für die nächsten zehn Jahre den Prozess „ekhn2030“ auf den Weg gebracht. In neun sogenannten Arbeitspaketen sind Ideen und Ansätze zusammengepackt, wie man einigen wichtigen Fakten Rechnung tragen kann: weniger Mitglieder, also auch weniger Kirchensteuer; zugleich weniger Pfarrerinnen und Pfarrer, weil der theologische Nachwuchs fehlt. Grob zusammengefasst kann man sagen, dass eine wichtige Tendenz in einigen der Pakete dahin geht: weniger eigenständige Gemeinden, darum Zusammenarbeit in Verbünden (Stichwort: nachbarschaftliche Kooperation); innerhalb dieser Verbünde gibt es dann einen sogenannten „Professionenmix“, bestehend aus Pfarrpersonen, Gemeindepädagogik und Kirchenmusik sowie PrädikantInnen, damit möglichst viele wichtige kirchliche Arbeitsfelder abgedeckt sind.
Kooperation kann und sollte indessen noch viel weiter gedacht werden, sagt Pfarrerin Renate Köbler, Referentin für Bildung und Ökumene im Evangelischen Dekanat Odenwald: „Es geht auch um Kooperationen im Sozialraum – auch um ökumenische Kooperationen.“ Viele Jahre lang sei es fast ausschließlich das Ziel gewesen, die Menschen in die Gemeinden hinein zu holen. Die Zukunft, so meint die Dekanatsreferentin, verlange, „genau hinzuschauen, wie und wo Kirche ihre Arbeit aus den Gemeindehäusern hinaus in den Stadtteil oder in das Dorf eintragen kann – also nach außen geht: dorthin, wo die Menschen sind“.
Wer die Pakete auspackt, findet auch die Idee, den recht umfassenden heutigen landeskirchenweiten Gebäudebestand zu verringern, ist doch Gebäudeunterhalt (laufende Kosten und besonders Reparaturen und Renovierungen) eine kostspielige Angelegenheit. Vor allem, wenn Gemeinden enger zusammenarbeiten, muss nicht jede ein je eigenes Gemeindehaus vorhalten, ebensowenig ein Pfarrhaus. Selbst über Kirchengebäude kann man nachdenken. Ein Gotteshaus aus dem 17. Jahrhundert wird man nicht verkaufen, sodass dort fortan Büros, eine Bankfiliale oder eine Werkstatt untergebracht sind. Aber man kann, wie in Lützel-Wiebelsbach geplant, einen Anbau an die Kirche erstellen, der diese zu einer Kombination aus Kirche und Gemeinderäumen umwandelt. Dann entfällt schonmal der Bedarf für ein eigenes Gemeindehaus. Im westerwäldischen Montabaur hingegen, wo es zwei Kirchen gibt, ist unlängst tatsächlich ein Gemeindezentrum (Kirche mit Gemeindehaus) aus den späten Sechzigerjahren verkauft worden, um sich – auch finanziell – auf die andere Kirche konzentrieren zu können. Man sieht: So etwas kann man nicht pauschal beschließen, sondern muss immer auf die Gegebenheiten vor Ort achten.
Beraten und letztlich beschlossen werden die Pakete von ekhn2030 bei der Landessynode. Gleichwohl hat dieses demokratisch verfasste Kirchenparlament zur konstruktiven Mitarbeit und Eingabe von Ideen aufgerufen, was sich einige Mitarbeitende im Dekanat Odenwald – darunter die Pfarrerinnen Renate Köbler (Bildung und Ökumene), Marion Rink (Geistliche Arbeit im Kloster Höchst) und Kerstin Peiper (Steinbach), Dekan Dr. Karl-Heinz Schell und Präses Egon Scheuermann sowie die Dekanatsreferenten Oliver Guthier (Jugend) und Theresa Möke (Gesellschaftliche Verantwortung) – auch vorgenommen haben, mit viel Engagement und beachtlichem Aufwand: Auf insgesamt gleich drei Dekanatskonferenzen wurden das Thema als ganzes sowie einzelne Aspekte von vielen Seiten betrachtet. Fragen waren dabei etwa: Was bedeutet das? Welche Ängste, welche Erwartungen, welche Hoffnungen, aber auch welche Möglichkeiten sind damit verbunden?
Aus der Fragestellung „Stellt Euch vor, es ist das Jahr 2030 – Was ist die Botschaft Jesu für die Menschen, die in unserer Region leben?“ ist bei einer der Konferenzen diese schöne Wortwolke (Bild) entstanden, die man mit ein wenig Phantasie auch als ein Auge erkennen kann, aus dessen Pupille das Wort Hoffnung schaut. Also der Blick mit Hoffnung in die Zukunft, das ist allemal gut.
Die nächste Station ist nun die Dekanatssynode, wo ekhn2030 beraten werden wird und auch Gedanken, Hoffnungen, Bedenken und anderes aus dem Dekanat Odenwald einfließen können. Wenn sich das am Ende zeigen sollte, dann kann die Dekanatssynode auch Überlegungen an die Landessynode weitergeben.
PS: Im Jahr 2013 gab es im Dekanat Odenwald eine „Zukunftskonferenz“. In dem Bericht darüber taucht unter der Überschrift „Kirche, zehn Jahre später“ zum Beispiel schon die Idee auf, größere Verbünde zu bilden. Kooperation, voneinander lernen, miteinander arbeiten – durchaus also kein neuer und schon gar kein befremdlicher Gedanke.
Wer sich für die Thematik genauer interessiert, findet den Link zu ekhn2030 und zu den genannten Paketen hier: https://unsere.ekhn.de/themen/ekhn2030.html
Bernhard Bergmann