Es war ein einzigartiger Gottesdienst zur Glockenweihe 1950
Anlass war die Erinnerung an die Glockenweihe nach dem Zweiten Weltkrieg vor 75 Jahren am 23. Juli 1950.
Die beiden Pfarrer Roger Frohmuth und Roland Bahre hatten es in fesselnder Art und Weise verstanden, die Geschichte und Bedeutung der Glocken zu schildern und die historischen Daten miteinander zu verbinden. Begleitet wurde der Gottesdienst von Kantorin Iris Thierolf und dem Posaunenchor unter Leitung von Arne Müller.
In einer kleinen Broschüre hatte zuvor Alt-Landrat Horst Schnur bei seiner Spurensuche an das Schicksal der Beerfelder Glocken seit dem großen Stadtrand im Jahr 1810 erinnert und den Anstoß gegeben, das diesjährige 75-jährigen Jubiläum mit der Glockenweihe 1950 zu würdigen.
Dabei wurde auch die Glockenablieferung im Kriegsjahr 1917 während des Ersten Weltkriegs erwähnt, als es hieß, dass damals „Die Gemeinde Beerfelden zwei Glocken [gab], 135 und 75 Kilo schwer, beide 1825 von Gebrüder Barthels und Mappes, Bürger in Frankfurt, gegossen.“
Das wiederholte sich 1942, als auf Anordnung der Nazi-Herrschaft sämtliche deutsche Kirchenglocken der Rüstungsindustrie zur Verfügung zu stellen waren, um daraus Kriegsmunition herzustellen. Auch die vier Glocken der Martinskirche und die Friedhofsglocke aus der Kapelle auf dem Sensbacher Friedhof mussten damals ausgebaut und abgeliefert werden. Im Kirchenarchiv heißt es dazu: „Glockenwegnahme 1942: Am Donnerstag, dem 29. Januar 1942, abends von 6-1/2 7 läuteten zum letzten Male unsere Glocken. Die 10er, 11er u. Vaterunserglocke wurden am 3. Februar 1942 u. am nächsten Tage die 6er Glocke ausgebaut. Diese 4 Glocken wurden am 4. Februar durch die Fa. Johe nach Erbach transportiert. Zum weiteren Gebrauch durfte hier nur noch die kleinste Glocke hängen bleiben. Die gesamte Gemeinde hat den Verlust ihres schönen Geläuts überaus schmerzlich gefunden.“
Nach dem Krieg entdeckte ein Beerfelder, der aus britischer Kriegsgefangenschaft entlassen worden war, auf dem Glockenfriedhof im Hamburger Hafen unter den nicht eingeschmolzenen Glocken auch die größte aus der Beerfelder Kirche. Aufgrund dieser Nachricht begab sich Pfarrer Ludwig May seinerzeit nach Hamburg und veranlasste die Rückführung in den Odenwald.
Sie kam schließlich zusammen mit den Glocken der Friedhofskapelle von Ober-Sensbach und der aus der Güttersbacher Kirche am 1. August 1947 mit einem Schiff nach Hanau.
Das Kirchenarchiv der Beerfelder Martinskirche vermerkt mit Freude zur Glockenheimkehr der größten Glocke 1947: „Am 1. Aug. 1947 durften wir zu unser aller Freude unsere größte Glocke, die sog. Sechserglocke, im Hafen von Hanau am Main wieder zurückholen. Mit den 3 andern mußte sie Anfang Februar 1942 abgeliefert werden […]. Gleichzeitig mit ihr konnten wir auch das 50 kg schwere Glöcklein von der Sensbacher Friedhofskepelle mit zurückbringen. Am 10. Aug. läutete zur Freude der großen Gemeinde die große Glocke zum ersten Male wieder, während das Friedhofsglöcklein anläßlich der ersten Beerdigung nach seiner Rückkehr läutete. Zur neuen Weihe beider Glocken hatte sich eine große Gemeinde eingefunden.“
Erhalten blieb jedenfalls nur die eine große Glocke, die im August 1947 nach Beerfelden zurückkehrte und in einem großen Festzug auf einem Wagen, bespannt mit vier Pferden, zur Kirche zurückgebracht und von den Zimmerleuten mit einer Seilwinde auf den Kirchturm hochgezogen wurde, wo sie im Turm wieder auf ihren Platz gebracht und montiert werden konnte.“
Es war die 1210 kg schwere „Christusglocke“, die einst der im Jahr 1849 ausgewanderte Heinrich Christian Kumpf, dreimaliger Bürgermeister von Kansas City in USA, zur Einweihung des vollendeten Kirchturms im Jahre 1887 durch Bereitstellung von 3000 Mark gestiftet hatte. Er ist als Spender am unteren Rand der Glocke benannt. (Sein Sohn Georg Kumpf hatte damals die noch heute die Zeit ansagende Kirchturmuhr gestiftet.) Nach dem großen Stadtbrand von 1810 und dem Wiederaufbau der Kirche hatte man in Beerfelden zunächst den Kirchturm nicht fertiggestellt.
Die „Christusglocke“ trägt den Spruch aus Offenbarung 14, 13: „Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben von nun an. Ja, der Geist spricht, dass sie ruhen von ihrer Arbeit; denn ihre Werke folgen ihnen nach.“ Diese Worte sprechen den Christen Trost zu, indem sie ihnen versichern, dass diejenigen, die im Glauben an Jesus Christus sterben, im Tod Ruhe finden und ihre guten Werke sie weiterhin begleiten.
Noch fehlten zur Vollständigkeit des Geläuts drei weitere Glocken, die nicht mehr aufzufinden waren und vermutlich im Schmelzofen der Rüstungsindustrie gelandet waren.
Die Kirchengemeinde ließ demnach zwei Glocken gießen: Die 680 kg schwere „Gedächtnisglocke“, die „Zum Gedächtnis an die im 2. Weltkrieg Gefallenen und Vermissten“ gewidmet war mit dem Spruch aus Esther 9, 28.: „Ihr Gedächtnis soll nicht umkommen bei ihren Nachkommen.“
Zugleich wurde die „Friedensglocke“ mit einem Gewicht von 387 kg und der Inschrift aus Epheser 2, 14: „Er ist unser Friede.“ in Auftragt gegeben. Der Epheser-Satz bezieht sich auf Jesus Christus, der laut Bibel die Trennung zwischen verschiedenen Menschengruppen aufhebt und so Frieden schafft.
Die vierte Glocke wird als „Vaterunser-Glocke“ bezeichnet und ist 273 kg schwer. Sie wurde von den Kindern des Rektors Georg Göbel (*1865; †1944), Kantor und Chorleiter an der Beerfelder Kirche von 1883 – 1944, zu dessen Gedenken gestiftet und folgende Inschrift am oberen Rand eintragen lassen: „Und führe mich bis an mein selig Ende und ewiglich. Im Mantel steht: Zur Erinnerung an den Rektor Georg Göbel, Von seinen Kindern 1950.“
Aus der Stadtchronik ist zu entnehmen, dass am 1. Juli 1950 die zwei neuen Glocken gemeinsam mit der gestifteten „Vaterunser-Glocke“ am Beerfelder Bahnhof feierlich abgeholt werden konnten. Bei der Glockenweihe am 23. Juli 1950 war das wohlabgestimmte Geläut im Kirchturm der Martinskirche wieder vollständig, wie es die Gemeinde weithin hören konnte.
Es gibt noch eine fünfte 100 kg schwere Glocke, „Sturmglocke“ oder „Hochzeitsglocke“ genannt. Sie passt im Ton nicht zu den vier ersten Glocken und soll nur bei Bränden geläutet werden oder bei Hochzeiten. Sie trägt die Inschrift aus der Schöpfungsgeschichte in 1. Mose 2, 18: „Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei, ich will ihm eine Gehilfin machen, die um ihn sei.“
Die große Kirchengemeinde nahm in diesem Jubiläumsgottesdienst mit großem Interesse die dargebotenen Informationen der beiden Pfarrer auf und wird gewiss künftig mit erhöhter Aufmerksamkeit auf das Geläut der Beerfelder Glocken hören und ihre Botschaft verstehen. „Der Himmel ist mit Kirchtürmen mit der Erde befestigt und der Klang der Glocken ist die Stimme seiner Engel", hat einmal ein Poet als Aphorismus in eine seiner Geschichte geschrieben.
Möge das Geläut der Martinskirche Andacht stiften, wenn es durch die Stadt und die Täler klingt.
Horst Schnur
