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Erasmus von Rotterdam

Als Erasmus (geb. 18.10.1466 oder 1469 in Rotterdam – gest. 12.7.1536 in Basel) 1508 von Italien kommend über die Alpen nach England unterwegs war, nützte er den langen Ritt, seinem Freund Thomas Morus eine Satire zu widmen. Er lässt in einem langen Brief die Torheit persönlich sprechen.

Mit Wortspielereien, die den damaligen Zustand von Regierenden und Kirche mit harmlosen Worten aber schonungsloser Schärfe zweideutig beschreibt, hält er den Obrigkeiten den Spiegel vor. Von diesem Blickwinkel will keiner von der Torheit gelobt sein …

Erasmus sucht Wege des friedlichen Miteinanders.

In seinem Leben gibt es keinen ständigen Aufenthaltsort. Kindheit und Jugend verbrachte der früh verwaiste in einem Augustinerchorherrenstift in Holland. Nach seiner Ausbildung dort studierte er ab 1495 in Paris. Den in Paris gelehrten humanistischen Vorlesungen stand er eher kritisch gegenüber, seinen Studien folgte kein Abschluss. Den Doktortitel der Theologie erwarb er später 1506 in Turin.

Das kritische Hinterfragen der Pariser Studien, Werte wie Vernunft, Frieden und Toleranz mit Kenntnis der Schriften antiker Schriftsteller zu beurteilen, ermöglichte ihm einen freieren Blick auf seine Zeit. Viele bedeutende Werke reichen in diese Zeit zurück.

Als der Lordkanzler Heinrichs VIII aus England, Thomas Morus, Flandern bereiste, suchte er den bereits bekannten humanistischen Gelehrten Erasmus auf. Erasmus selbst reiste 1499 erstmals nach England. Er schätzte den neun Jahre jüngeren Morus. Die beiden verband eine Freundschaft und gegenseitige Wertschätzung bis zur Enthauptung Morus‘ am 6. Juli 1535. Beide waren auf der Suche nach besseren Lebensbedingungen für das einfache Volk, für ein Dasein ohne Streit und Krieg. Mit einer konkreten Beschreibung eines idealen Staates leistete Thomas Morus seinerseits mit dem Roman „Utopia – Insel der Seligen“ seinen Beitrag. Der Roman ging 1516 in Druck.

Erasmus‘ enormer Bekanntheitsgrad zeigt sich auch darin, dass er 1515 zum Rat des damals 15-jährigen und als volljährig erklärten Kaiserenkel Karl (später Kaiser Karl V) ernannt wurde. Er widmete Karl eine Schrift: „Den Unterricht für den christlichen Fürsten“, eine Hymne auf den Frieden für den besonnenen Staatsmann, nicht für den kühnen Eroberer. Fast gleichzeitig erscheint von Erasmus ein Sonderdruck mit dem Titel „Süß scheint der Krieg dem Unerfahrenen“. Erasmus bemüht sich sein ganzes Leben lang, mit Veröffentlichungen einen Weg für einen dauerhaften Frieden zu finden.

Sein Rat wurde geschätzt. Er denkt pazifistisch. Historiker sehen in ihm den ersten Europäer. Erasmus sucht Wege aus Streitigkeiten und sieht in der Reformation ein großes Gewaltpotential. Luthers rigide Sprache hält er für gefährlich. Die beiden verstehen sich nicht, finden in den späteren Jahren wenig Übereinstimmung. Sie mögen einander nicht und begegnen sich mit einer gewissen Heftigkeit. Allerdings hatte Luther 1524 auf der Wartburg die Übersetzung des Neuen Testaments von Erasmus für seine deutsche Bearbeitung des Textes benützt. Erasmus hatte Quellenstudien betrieben und als erster die über viele Jahrhunderte angesammelten Ergänzungen und Erklärungen aus den Texten des Neuen Testaments entfernt. Er war zum Ursprung zurückgekehrt und hatte eine neue, von allen Ergänzungen bereinigte Fassung veröffentlicht. Neben dem griechischen Text stand der lateinische. Diese neue Fassung widmete er dem Papst Leo X. Ein Schreiben Luthers damals an Erasmus, dessen Inhalt unbekannt ist, blieb ohne Antwort. Mit Melanchthon hatte er mit längeren Unterbrechungen lebenslangen Kontakt.

Erasmus lebt in einer Zeit ständiger Kriege in Europa. Mit seiner Satire „Lob der Torheit“ 1508 stellt er die Verhältnisse auf den Kopf. Statt der Torheit, er nennt sie „die ewige Stultitia“,  lässt er dann 1517 den Frieden zu Wort kommen. In dieser lateinischen Schrift „Querela Pacis“ ist der Friede weiblich: die Pax. Eine Frau spricht, klagt an. Erasmus lässt die Pax deutlich und in aller Schärfe sprechen. Beim Lesen verschwindet die Zeit, 1517 oder 2017, wenngleich in einer etwas antiquierten Sprache - was die Pax sagt, ist hoch aktuell.

Einen Gönner, der ihm ein bequemes Leben ermöglichte, hatte Erasmus nicht. Als Kosmopolit und bewusst Heimatloser war er zwar zeitweise Obrigkeiten verpflichtet, lebte aber immer wieder, und besonders in seinen letzten Jahren, von seinen Veröffentlichungen. Mit Reichtum scheint er nicht verwöhnt gewesen zu sein. So musste er einmal, der immer fröstelnde, seine zwei Reitpferde verkaufen, um Winterkleidung zu haben. Er ist meist im dicken Pelz abgebildet. Maler war Hans Holbein d.Ä. Holbein porträtierte ihn mehrfach. Thomas Morus wird später von  Hans Holbein d.J. gezeichnet. Hans Holbein d.J. bezeichnete sich selbst als Basler. Er illustrierte die Bücher von Erasmus von Rotterdam und Thomas Morus. Der Renaissance-Maler starb 1543 in London. Die rege Reisetätigkeit damals erstaunt immer wieder.

Erasmus bleibt in der Geschichte der Reformation seltsam farblos. Es wird vermutet, dass  viele seiner Schriften unbekannt in Bibliotheken schlummern. Kritiker bemängeln seine Zurückhaltung: Er hätte sich einmischen müssen! Der Holländer Erasmus von Rotterdam war ein Europäer der zwischen Holland, England, Frankreich, Deutschland, der Schweiz und Italien pendelte. Er scheint ständig unterwegs zu sein. Als er die deutsche Denk- und Lebensweise kennenlernte, er wohnte längere Zeit in der freien Stadt Basel, war er bereits über fünfzig Jahre alt. Er wollte Frieden, setzte auf die Kraft der Worte, wusste um die Brüchigkeit des Friedens und wollte weder vom Papst noch von den Reformatoren auf eine Seite gezogen werden. Erasmus hielt sich zurück, schwieg und stellte sich hinter keine der beiden Parteien. Dogmen waren ihm verhasst.

Als ihm das freie Basel zu politisch wurde, zog er nach Freiburg im Breisgau. Er ist jetzt müde geworden und still. Im Grunde ist das eingetreten, was er vorausgeahnt hatte und was er mit seinen aufklärenden Schriften vermeiden wollte. Schreckensbotschaften machten ihm das Leben schwer. Er litt unter der Hinrichtung von Thomas Morus. Ein Schüler und Übersetzer von ihm verbrannte qualvoll auf einem Scheiterhaufen in Paris. Zwingli lag erschlagen auf dem Schlachtfeld von Kappeln. Thomas Müntzer war zu Tode gefoltert worden. Es kam zu unmenschlichen Grausamkeiten an den Täufern und andersdenkenden, Kirchen wurden geplündert, Bücher und Städte verbrannt.

Jetzt möchte er nach Hause. Mit fast siebzig Jahren zieht es ihn nach Brabant zurück, seiner holländischen Heimat. Er kommt nicht mehr ans Ziel. In einer kleinen Reisekutsche fährt der stark Gichtkranke zu Freunden nach Basel. Diese sorgen für eine bequeme Unterkunft. Es erreicht ihn noch ein Brief aus Rom. Papst Leo X bietet ihm den Kardinalshut und reiche Pfründe an. Er lehnt ab: „Soll ich, ein sterbender Mann, Bürden auf mich nehmen, die ich ein Leben lang abgelehnt habe?“.

Er stirbt so frei wie er gelebt hat. Und dieser große Humanist, der sein ganzes Leben lang Latein gesprochen hat, verabschiedete sich in seiner Muttersprache. Seine letzten Worte galten dem „lieve God“.

 

Ute Löb

Für Interessierte: Ein Exemplar der Querela Pacis kann im Gemeindebüro ausgeliehen werden.


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