Angedacht - Pflücke den Tag
Die Ameise, so wird dort erzählt, sammelt den ganzen Tag über fleißig Vorräte für den Winter. Unermüdlich schleppte sie Körner und Halme in ihren Bau. Die Grille dagegen machte sich ein vergnügtes Leben, musizierte und tanzte den ganzen Tag und machte sich sogar lustig über die dumme Ameise. Partystimmung und Dauerfete hier, Pflichtbewusstsein und Arbeitsstress dort. Es kam, wie es kommen musste: Der Sommer ging zu Ende und der Winter brach an. Ein böses Erwachen für die Grille. keine Vorräte, nichts zu essen, quälender Hunger. Jetzt hatte die Ameise Oberwasser. Sie zehrte von dem, was sie gesammelt hatte, und als die Grille kläglich um Futter bettelte, da zeigte sie ihr die kalte Schulter: selber schuld! Hättest du vorgesorgt!
Die „Moral von der Geschicht“ ist klar: Spare in der Zeit, dann hast du in der Not. Weitblick ist gefordert. Sorge vor für die Zukunft! Auf diese Ameisentugend hat man in Deutschland immer Wert gelegt. Nur so war nach dem Krieg das Wirtschaftswunder möglich.
Ganz anders ein Bilderbuch aus unserer Zeit, das von der Maus Frederick erzählt: Während die anderen Mäuse im Sommer Nahrungsvorräte sammeln für den Winter, liegt Frederick in der Sonne, genießt die Natur und pflegt Kontakte. Auf die vorwurfsvollen Fragen der anderen Mäuse antwortet Frederick:“ Ich sammle auch etwas. Ich sammle Farben, Wörter und Sonnenstrahlen, denn der Winter wird grau und kalt.“ Im Winterquartier der Mäuse gibt es genug zu esse, doch trotzdem breitet sich Niedergeschlagenheit aus. Zu dunkel, zu eintönig, zu kalt ist das Leben. Da teilt Frederick von seinen gesammelten Wörtern mit. Er erzählt vom Sommer, von seinen Erlebnissen und Begegnungen, und es ist, als kehrten Farben und Sonnenstrahlen ein in die triste Höhle der Mäuse.
Natürlich wäre Frederick verhungert ohne die gesammelte Nahrung der anderen, aber auch er hatte etwas Wichtiges beizusteuern für das Leben der Gemeinschaft. Die Mehrzahl arbeitet, er lebt. Und er sammelt dabei Erfahrungen, saugt sich voll mit den Farben der Welt, speichert in seinem Herzen die Strahlen der Sonne. Die Maus lebt nicht vom Käse allein, das zeigt sich, als der Winter kommt.
Beide Geschichten enthalten eine Wahrheit, die sich zu beherzigen lohnt! „Sei klug! Sorge vor! Lebe nicht blind in den Tag hinein!“ Das ist die Vernunft der Ameise und der Mäuse. Aber auch die Grille und die Maus Frederick verkörpern eine Weisheit:“ Vergiss nicht zu leben!“
Ich bin eher zur Ameise erzogen worden. Aber mir gefällt die ganz andere Lebenseinstellung der kleinen Maus Frederick. Wer über der Arbeit vergisst zu leben, findet sich bald in der grauen Höhle der Schwermut. Deshalb: Vergiss die Farben nicht, vergiss die Wärme nicht, sonst ist dir bald kalt ums Herz. Wenn dir die Worte abhandenkommen, wenn du keine Geschichten mehr zu erzählen hast, dann wird es Zeit, neue Vorräte zu suchen. Dann wird es Zeit, dass du Begegnungen und Gesprächen wieder mehr Raum in deinem Leben gibst, dass du dir das Herz wärmen lässt und Farbe in dein Leben bringst. Es gibt Phasen im Leben, da ist es wichtig, sich selbst etwas Gutes zu tun. Ausgebrannt und ausgelaugt dienen wir niemandem. Nicht „§ Schaffe, schaffe, Häusle baue…“ ist unser erster Auftrag. Die Welt soll farbiger und wärmer werden durch uns, und die Hoffnung soll ein kleines Stück wachsen dürfen. Es war wieder ein römischer Dichter, Horaz, der dafür einen berühmten Ratschlag gab:“ Carpe diem- pflücke den Tag“ Als Lateinschüler damals habe ich noch nicht verstanden, was er damit meinte. Heute schon! Und wie geht es Ihnen damit?
„Carpe diem“
Das wünscht Ihnen für diese Wochen im Sommer
Ihr Pfr Roger Frohmuth