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Philipp Melanchthon

Mit dem Namen Martin Luther verknüpft sich zwangsläufig der Gedanke der Reformation. Doch wäre es nur Martin Luther ganz alleine gewesen, der auf eine Klärung dringend anstehender Glaubensfragen hinwies, hätte die Geschichte kaum Notiz von ihm genommen. Luther hatte viele Unterstützer.

Politisch unter dem Schutz von Friedrich dem Weisen stehend, theologisch arbeitend als Theologie-Professor an der im Aufwind befindlichen Universität in Wittenberg, umgeben von ausgesuchten und bestausgebildeten Kollegen, wirkte er in der uns bekannten Weise. Ein Kollege, der als Griechisch Professor im August 1518 auf einen Lehrstuhl nach Wittenberg berufen wurde, war Philipp Melanchthon.Geboren in behüteten Verhältnissen im Februar 1497 in Bretten, als erster Sohn der 20-jährigen Barbara Schwartzerdt und dem wegen seines Berufes oft abwesenden 42-jährigen kurfürstlichen Rittmeister Georg Schwartzerdt, erhielt Philipp seit frühester Jugend eine gute Ausbildung. Seine sprachliche Begabung wurde früh erkannt, in der städtischen Lateinschule gefördert und durch Hauslehrer vertieft. Die Chronisten schreiben von einer virtuosen Beherrschung der lateinischen Sprache. Mit gerade mal elf Jahren wurde er Halbwaise. Sein Vater und auch sein Großvater, in dessen Haushalt die Familie lebte, starben beide im Oktober 1508. Philipp war zu dem Zeitpunkt alt genug, dass die Mutter ihn zur weiteren Ausbildung nach Pforzheim in die Obhut der Witwe Elisabeth Reuchlin geben konnte, der Schwester des Humanisten Johannes Reuchlin. Dieser mochte den hochbegabten Gast seiner Schwester. Er war es auch, der Philipps Nachnamen Schwartzerdt ins griechische übersetzte, melan für schwarz und chthon für Erde: Melanchthon. Unter diesem Namen wurde er bekannt und zur genialen Größe seiner Zeit.

Nach seiner Pforzheimer Ausbildung studierte er zwei Jahre in Heidelberg und weitere drei Jahre in Tübingen, 1514 war er 17-jährig Magister geworden und konnte ein Studium der sogenannten höheren Fakultäten beginnen. Er hatte die Wahl zwischen Theologie, Jura und Medizin und besuchte hauptsächlich die theologischen Vorlesungen. Eifrig studiert hat er mehr als dafür vorgeschrieben war. Philipp arbeitete neben seinem Studium auch mit griechischen Urtexten antiker Autoren, die an der Universität in lateinischer Übersetzung studiert wurden. Hebräisch lernte er so gut, dass er es lehren konnte. Auch hatte er gute Kenntnisse der Mathematik, Astronomie und Astrologie, wobei die Mathematik zeitlebens ebenfalls ein Hauptanliegen seiner Bildungspolitik blieb. Rührig publizierte er Übersetzungen griechischer Dichter für Lehrzwecke, darunter auch eine humorige Sprachlehre und sogar einen satirischen Text. Mehr und mehr wurde die Gelehrtenwelt auf ihn aufmerksam.

Als die Universität Wittenberg für den philosophischen Zweig einen Professor für griechisch suchte, wandte sich der Kurfürst an den süddeutschen Gelehrten Johannes Reuchlin. Dieser empfahl seinen „gesippten Freund“, den einundzwanzigjährigen Dozenten Philipp Melanchthon, von dem er sagen konnte, es gebe in Deutschland keinen besseren außer vielleicht Erasmus von Rotterdam. Melanchthon erreichte Wittenberg am 25. August 1518. Bereits am Samstag danach, dem 28. August, hielt er seine Antrittsrede. Die Sprache war perfekt, Aufbau und Gedanken überzeugend, der Vortrag spannend. Das fast noch kindliche Erscheinungsbild des mageren kleinen Mannes war vergessen, sobald er den Mund aufmachte. Nach dieser Rede schrieb Luther: „Unser Philipp Melanchthon ist ein wunderbarer Mensch“, und ein Jahr später: „Dieser kleine Grieche übertrifft mich sogar in der Theologie“.

Melanchthon unterrichtete Griechisch, hielt Vorlesungen über lateinische Dichter, kümmerte sich zusätzlich um den Lehrstuhl für Hebräisch und setzte sich für lebendige Studiengänge ein. Er organisierte im Einklang mit seinen Kollegen einiges neu. Nicht nur an der Fakultät. Auch für die Schulen erarbeitete er ein Drei-Klassen-Konzept. Kinder müssen erst mal lesen und schreiben lernen. Nur wer lesen kann, kommt in die zweite Klasse und erst wer die Grammatik beherrscht wird in die dritte Klasse versetzt. Und er legt besonderen Wert auf Musik: Alle Kinder singen zusammen im Unterricht der 2. Klasse.

Dass ein Magister der philosophischen Fakultät weiter studierte war üblich. Im September 1519 erhielt er den Grad des Baccalaureus biblicus zuerkannt und gehörte damit nicht nur der philosophischen, sondern auch der theologischen Fakultät an. Als Luther infolge seiner Reise nach Worms und seinem Aufenthalt auf der Wartburg 1521 ein Jahr fehlte, setzte Melanchthon seine Vorlesungen fort.

Melanchthon war ein so begeisterter Teamworker, dass er gar nicht auf den Gedanken kam, andere könnten es nicht sein. Er brauchte die Gemeinschaft, die sein Beruf ihm dann auch brachte. Aber sie war so, dass Philippus mit der flinken Feder und dem unerschöpflichen Wissen für andere die Arbeit machte. Er schrieb Reden für Freunde, Kollegen und Schüler, die nicht selten in deren Namen gedruckt wurden. Im November 1520 heiratete Melanchthon die Bürgerstochter Katharina Krapp und beklagte sich anfangs über die ihm jetzt fehlende Zeit.

Wittenberg bot in dieser Zeit alles andere als ein ruhiges Leben. Oftmals hatte die Stadt mit den unzähligen Studenten, den vielen Kunst studierenden Malergesellen von Lucas Cranach, die sehr jung und kaum der Pubertät entwachsen waren, und den Soldaten des Kurfürsten die doppelte Einwohnerzahl. Es kam zu Unruhen zwischen Studenten, Studenten und Malergesellen. und Streitereien mit Gesellen konkurrierender handwerklicher Berufe. Der Umbruch der kirchlichen Traditionen brachte auch die Gläubigen gegeneinander auf.

Mutig und mit voller Überzeugung feierte Melanchthon mit einigen seiner Schüler am 29. September 1521 das vollständige Abendmahl mit Brot und Wein in der Stadtkirche. Luther befand sich noch als Junker Jörg auf der Wartburg. In diesem unruhigen Jahr kam es zu Plünderungen und Bilderstürmen. Verwüstungen von Altären waren keine Seltenheit. Altgläubige wurden angegriffen. Der Kurfürst selbst schaltete sich ein und bestellte die Bevölkerung zur Ermahnung auf das Schloss. Überführte Täter erhielten Arrest.

Am 13. Februar 1522 kehrte Luther von der Wartburg gegen den Willen des Kurfürsten nach Wittenberg zurück und nahm seine Lehrtätigkeit wieder auf. Melanchthon und Luther wuchsen in ihren Tätigkeiten immer mehr zusammen, eine fast symbiotische Zusammenarbeit und Freundschaft, ungewöhnlich für zwei so gleichwertig hochgeistige Menschen. Wobei Luther eher polternd argumentierte, was er auch wusste („das ich mit den rotten und teuffeln mus kriegen und zu felde ligen, darumb meiner bücher viel stürmisch und kriegerisch sind … (ich) bin der grobe waldrechter“), Melanchthon aber feinfühlig und mit Bedacht seine Worte wählte. Luthers Kommentar: „Aber M(agister) Philipps feret seuberlich und still daher, bawet und pflantzet, sehet und begeust mit lust, nach dem Gott yhm hat gegeben seine gaben reichlich“.

Nach beinahe sechs Jahren härtester Arbeit an Universität und Kirche war Melanchthon erschöpft und litt an gefährlicher Schlaflosigkeit. Nun bekam er sechs Wochen Urlaub, um seine Heimat zu besuchen. Fünf Reiter trabten am frühen Morgen des 19. April 1524 auf Mietgäulen durch das Wittenberger Elbtor: Melanchthon mit seinem unzertrennlichen Freund Joachim Camerarius und drei seiner Schüler. Sie erreichten am gleichen Tag Leipzig. Dann ging es weiter über Weimar, Gotha, Eisenach und Fulda nach Frankfurt, an der Bergstraße entlang und an Heidelberg vorbei. Am 3. Mai erreichten sie Bretten. Camerarius ritt mit den Begleitern weiter nach Basel, um Erasmus zu besuchen.

Melanchthon blieb alleine zurück und wohnte in Bretten im Gasthaus zur Krone mit dessen Wirt Melanchthons Mutter wieder verheiratet war. Sein Aufenthalt wurde bekannt. Bereits drei Tage später erschien der Dekan der Heidelberger Universität mit zwei Professoren und brachte dem einstigen Studenten ihrer Fakultät als Ehrengeschenk einen silbernen Pokal. Auf der Heimreise machten die Reiter in Heidelberg einen Gegenbesuch. Der Zufall wollte es, dass Philipp von Hessen zu einem Fest nach Heidelberg geladen war. Philipp erkannte Melanchthon und führte mit ihm ein Gespräch über religiöse Fragen. Geblieben ist ein lebenslanges Vertrauensverhältnis. Seine Heimatstadt Bretten hat Melanchthon noch zwei Mal 1529 und 1536 auf einer Durchreise zu Religionsgesprächen besucht.

Während des Bauernkriegs, am 5. Mai 1525, verstarb Kurfürst Friedrich der Weise. Bei den Feierlichkeiten am 10. Mai in Wittenberg hielt Melanchthon die Grabrede. Plünderungen und Brandschatzungen waren Schreckensbotschaften des Bauernkriegs in den kommenden Tagen. Der 15. Mai brachte die Entscheidung und beendete die Auseinandersetzung in einem unvorstellbaren Blutbad. Thomas Müntzer wurde hingerichtet. Die Nachricht erhielt Melanchthon in Torgau auf der Rückreise von Magdeburg, wohin er dienstlich unterwegs gewesen war. Welchen Druck muss er auf dieser Reise ausgestanden haben. Er hatte befürchtet, dass bei einem Erfolg Müntzers allen, die seinen Aufstand missbilligt hatten, unsagbar Schlimmes droht, „eine mehr als skythische Grausamkeit“.

Der Bruder des Kurfürsten, Johann der Beständige, regierte im Sinne des Verstorbenen weiter. Melanchthon wurde neben seiner Lehrtätigkeit an der Universität mit der Durchführung von Visitationen von Pfarreien in Thüringen betraut.

Durch die Kirchenreform war Melanchthon mehr und mehr auf Reisen. 1529 wollte man die reformwilligen Gebiete für ein gemeinsames Bekenntnis in der ungeklärten Abendmahlfrage in Marburg unter der Führung von Philipp von Hessen gewinnen. Es wurde sich über vieles geeinigt, aber Zwingli konnte dem Text Luthers zum Abendmahl nicht zustimmen, während die Oberdeutschen, etwa der Bereich der Schwaben und Teile des Elsasses, sich später dem Augsburger Bekenntnis anschließen konnten. Die beunruhigende politische Nachricht auf der Rückreise im Oktober war die Belagerung Wiens durch die Türken.

Der Reichstag in Augsburg 1530 warf seine Schatten voraus. Kaiser Karl V. war katholisch erzogen und gegen jede Änderung der Traditionen. In den Ländern, in denen bereits Reformen eingeführt worden waren, wurde ein Überfall der kaiserlichen Truppen befürchtet. Philipp von Hessen rüstete auf, Friedrich der Beständige war unentschlossen. Die Theologen wurden befragt und lehnten jeden Widerstand gegen den Kaiser ab. Melanchthons Untersuchung weist auf Nachteile hin, zeigt Gefahren auf, und rät, sich einer kaiserlichen Gegenreformation nicht zu widersetzen, sondern als Privatpersonen das Evangelium zu bekennen und dafür zu leiden. Allerdings stellte der Kaiser eine unvoreingenommene Beratung der Religionsfrage in Aussicht. Am 2. April 1530 zog Melanchthon im Gefolge des Kurfürsten nach Augsburg zum Reichstag. Luther war zu seiner Sicherheit wegen des lebenslang gültigen Banns auf der Veste Coburg zurückgelassen worden.

Melanchthon begann nach seiner Ankunft in Augsburg mit der Verteidigungsschrift der Rechtsgläubigkeit. Dafür nahm er die von Luther verfassten deutschen und lateinischen Artikeln als Vorlage, feilte ständig an beiden Fassungen und diskutierte sie mit seinen Kollegen. Das Endergebnis ist ein Schriftstück, das zwar weitgehend von Melanchthon formuliert wurde, aber eine gemeinschaftliche Aussage der reformatorischen Theologie lutherischer Prägung darstellt: die Cofessio Augustana, das heute noch gültige Augsburger Bekenntnis, ein Meilenstein der Reformation und Basis des evangelischen Glaubens (für Interessierte nachzulesen im aktuellen Evangelischen Gesangbuch). Luther erhielt die Verteidigungsschrift per Boten auf der Veste Coburg und urteilte mit gutmütigem Spott, sie gefalle ihm sehr gut, er könne sie auch nicht ändern, denn „so sanft und leise (könne) er nicht treten“.

Als dann die von Kursachsen, Hessen, vier weiteren Fürsten und zwei Reichsstädten unterzeichnete Bekenntnisschrift am 25. Juni nachmittags zwischen 14.00 Uhr und 16.00 Uhr im Kapitelsaal des bischöflichen Palastes vor dem Kaiser verlesen wurde, war der Autor nicht dabei. Er saß mit dem Schwäbisch Haller Reformator Johannes Brenz in der Herberge und schrieb unaufschiebbare Briefe. Der historischen Stunde waren sich beide bewusst.

Unablässig bemühte sich Melanchthon eine Übereinstimmung mit den Vertretern der Kirche zu erreichen, er bat um Zusammenkünfte und war auf der Suche nach einem gemeinsamen Weg. An einen bedeutenden päpstlichen Legaten schrieb er: „Wir sind bereit, der römischen Kirche zu gehorchen, wenn sie nur … einiges wenige, das wir, selbst wenn wir wollten, nicht mehr rückgängig machen könnten, entweder toleriert oder genemigt“. Schon am nächsten Tag wurde er von dem Kardinal empfangen und aufgefordert, die verlangten Zugeständnisse niederzuschreiben. Es waren: Laienkelch, Priesterehe, Befreiung vom Klostergelübde von Mönchen und Nonnen. Die Messen seien nur in der Zahl verringert, die Liturgie unverändert, das Abendmahl empfange nur, wer zuvor gebeichtet habe, über das Fasten sei eine Verständigung möglich. Mit diesen wenigen Zugeständnissen könne der Kardinal die Eintracht herstellen. Die Niederschrift ging am nächsten Tag nach Rom. Dieser persönliche Brief kam an die Öffentlichkeit. Die evangelischen Stände waren empört, Melanchthon ins falsche Licht gerückt.

Er verteidigte sich. Nichts war zugestanden, was nicht vorher mit seiner Regierung und Luther abgesprochen war. In diesen Zugeständnissen verlange er nichts weniger, als die nachträgliche Genehmigung der durchgeführten reformatorischen Maßnahmen. Der Kardinal hatte das sehr wohl erkannt und war zu keinem Entgegenkommen bereit.

Kaiser Karl V. gab eine Widerlegung des protestantischen Bekenntnisses in Auftrag. Melanchthon kam zu dem Schluss, dass mit dieser Widerlegung des Augsburger Bekenntnisses nichts verworfen wurde und sah deshalb die Möglichkeit einer Verständigung. Zu einer Einigung mit Rom kam es nicht. Die Reformer um Luther hofften nun auf das nächste Konzil in Trient. Ein halbes Jahr später, nach härtesten Verhandlungen auf dem Augsburger Reichstag, trafen Melanchthon und Luther am 11. Oktober 1530 wieder in Wittenberg ein.

Die protestantischen Fürsten und Städte befürchteten einen kaiserlichen Militärschlag und verbündeten sich unter der Führung von Kursachsen und Hessen, dem Schmalkandischen Bund. Melanchthon und Luther wurden auf die Hauptresidenz des Kurfürstentums Sachsen nach Torgau bestellt und um ihre Stellungnahme gebeten. Die Theologen rieten dringend dazu, mit dem Kaiser erneut zu verhandeln. Allerdings war aktuell die Gefahr eines militärischen Gegenschlags durch Karl V. geringer geworden, die Türken, die schon im Jahr zuvor bis nach Wien vorgerückt waren, machten sich wieder bemerkbar.

Melanchthon und Luther wurden mehr und mehr neben ihrer Tätigkeit an der Universität um Gutachten bei politischen Verhandlungen über theologische Fragen gebeten. Die Reisetätigkeit nahm zu. Speziell Melanchthon war in Deutschland ständig unterwegs auf Reichversammlungen, Religionsgesprächen, Bundestagen. Luther konnte Kursachsen nicht verlassen und musste außerhalb des Landes mit Verfolgung und Verurteilung rechnen.

Es wurde versucht, die ebenfalls offiziell zum evangelischen Ritus übergegangen Gebiete der Oberdeutschen für die Übernahme der Wittenberger Richtlinien zu gewinnen. Hart wurde um Formulierungen gekämpft, besonders in der Abendmahlfrage. Erst als im Augsburger Bekenntnis die lateinische Formulierung der wahrhaft wirkenden Gegenwart Christies statt in pane (in dem Brot) in cum pane (mit dem Brot) geändert wurde, unterschrieben die Oberdeutschen das gemeinsame Papier. Die Schweizer blieben diesem Zusammenschluss fern.

Melanchthon und Luther – unermüdliche Arbeiter im Garten des Herrn. Wie muss es sich angefühlt haben, wenn der große, stattliche Luther und der kleine, etwas über eineinhalb Meter große Melanchthon zusammenstanden und diskutierten, der eine im weichen, etwas verschwommenen thüringischen Dialekt und Melanchthon mit seiner kurpfälzischen Sprachmelodie.

Nach dem Tod Luthers 1547 fehlte die Leitfigur der Reformation. Melanchthon stand als maßgeblich beteiligter Reformer gefährdet an vorderster Front. Es wurde eng um ihn. Mit seiner Familie floh er vor Kaiser Karl V. während der militärischen Auseinandersetzung mit den Fürsten des Schmalkandischen Bundes, die der Kaiser für sich entschied. Dieser stand vor dem geöffneten Grab des ein halbes Jahr zuvor verstorbenen Luthers in der Wittenberger Schlosskirche, bereit, für den bekanntesten aller Reformatoren, ähnlich Zwingli, den Ketzertod zu fordern. Dann die unerwartete Ehrerbietung des Kaisers, er ließ das Grab wieder schließen und schändete es nicht.

Unermüdlich tätig in theologischen Angelegenheiten blieb Melanchthon der Reformation treu. Das Konzil in Trient zwischen 1543 und 1563 fand ohne evangelische Reformen statt, was die deutschen Reformer nicht daran hinderte, weiterhin daran zu arbeiten.

Der Augsburger Religionsfrieden 1555 gilt als vorläufiger Abschluss des Reformationszeitalters. Erstmals wurden durch reichsrechtliche Beschlüsse die Bedingungen für ein friedliches und dauerhaftes Nebeneinander der Konfessionen festgesetzt, wodurch eine der längsten Friedensperioden von 1555 bis 1618 im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen begann.

Eine Überraschung: Im Oktober 1557 weilte Melachthon zu einem Religionsgespräch in Heidelberg. Bei dieser Gelegenheit legten ihm die Grafen von Erbach ihre Kirchenordnung zur Begutachtung vor.

Melanchthon wurde 63 Jahre alt. In der Nacht zum 8. April 1560 plagten ihn schwerer Husten und Fieber. Trotzdem hielt er am 11. und 12. April, Gründonnerstag und Karfreitag, morgens um 6.00 Uhr wie gewohnt eine Bibelauslegung für Studenten in seinem Wohnhaus. Am 12. April verfasste er noch das Osterprogramm der Universität. Am Ostersonntag war er zu schwach, um den Gottesdienst zu besuchen. Er blieb mit seinem Lebensfreund Camerarius, der am Tage zuvor aus Leipzig gekommen war, alleine im Haus zurück. Melanchthon erholte sich nicht mehr. Er starb umgeben Kollegen am Abend des 19. April 1560. Zwei Tage später wurde er neben Luther in der Schlosskirche in Wittenberg beigesetzt.

Seine letzte Aufzeichnung ist ein Zettel mit Gründen, warum man den Tod nicht fürchten muss: „Du entkommst den Sünden. Du wirst befreit von aller Mühsal und der Wut der Theologen. Du wirst ins Licht kommen, Gott schauen, Gottes Sohn betrachten. Du wirst jene wunderbaren Geheimnisse lernen, die du in diesem Leben nicht verstehen konntest: Warum wir so erschaffen sind, wie wir sind, und worin die Vereinigung der beiden Naturen in Christus besteht“.

Ute Löb

Quellen: Heinz Scheible, Melanchthon – Heinz Schilling, Martin Luther


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